projekt a

projekta_24.7.2015: Projekt A, das steht für Projekt Anarchie, Menschen und Gemeinschaften, die in der Tradition des Anarchismus gegen die Ungerechtigkeiten und das Leid protestieren, die der kapitalistischen Gesellschaftsordnung entspringen, und versuchen, Alternativen zu finden und zu leben. In dem Dokumentarfilm besuchen wir das alternative Stadtviertel Exarchia in Athen, Anarchosyndikalisten in Barcelona, begleiten Gleisbesetzer nach Gorleben und sitzen in einer Plenumssitzung des Münchner Kartoffelkombinats. Das hat nicht immer notwendigerweise etwas mit Anarchie zu tun, der Film hätte statt Projekt A(narchie) wohl besser Projekt A(lternative) geheißen. Und leider geben Moritz Springer und Marcel Seehuber nur einen (vor allem etwas willkürlich geratenen und) winzigen Einblick in die weite Welt der vielen verschiedenartigen alternativen Projekte, in denen Menschen zur Zeit sich und ihr Leben jenseits der Mehrheitsgesellschaft zu organisieren versuchen.projekta_1 Die Filmemacher hätten besser daran getan, umfassender zu recherchieren sowie dichter, analytischer und genauer zu erzählen. Ein gut gemeinter, engagierter, aber bedauerlicherweise nicht besonders gut gemachter Dokumentarfilm über die Frage, welche Lebensalternativen es uns in der heutigen kapitalistischen Gesellschaftsordnung bleiben. Beim Münchner Publikum kam Projekt A hingegen gut an und wurde sogar mit dem Publikumspreis des Münchner Filmfestes belohnt. Sei‘s drum.

Louder than Bombs

louder_filmplakat3.7.2015: Leise und unter wohltuendem Verzicht auf jedwedes Pathos erzählt Joachim Trier in Louder than Bombs die Geschichte einer Familie, die sich nach dem Suizid der Mutter am Rande des Zerbrechens befindet. Jeder hat seine eigene Story: Jonah, ein verunsicherter und zwanghafter junger Mann (hervorragend zart nervtötend-nerdig gespielt von Jesse Eisenberg), flieht vor Frau und Baby in seine alte Familie, in das
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Freitag, 3. Juli 2015

3.7.2015: Einlass zu Louder than Bombs ist eine Viertelstunde früher und ich gehe direkt rein, um nicht wie in den letzten Vorstellungen in der dritten Reihe am Randplatz oder am Rand oder gar hinten auf dem Boden sitzen zu müssen. Je länger das Festival dauert, desto voller, scheint mir, sind die Säle. Heute ist es der große Saal vom City und ich sitze inmitten einer Gruppe jüngerer lässiger Menschen, die im Grunde ganz aufgeregt durcheinander von einer Filmparty erzählen, auf der sie gestern bis in die Morgenstunden getanzt und getrunken haben. Neben mir ein dünnes Hipstermädchen mit sexy vollen Lippen (noch jugendlich oder schon aufgespritzt?) in luftigem, stilsicher zwischen cool und elegant  changierendem Kleidchen, lästert wichtigtuerisch über die Aufschneidereien eines bekannten Jungschauspielers, mit dem sie offenbar eine Affäre hat. Kurz vor Filmbeginn stößt dann noch ein weiterer junger Mann dazu, der jetzt um halb fünf Uhr nachmittags ganz verwegen mit „Guten Morgen“ begrüßt wird. Waren wir auch so? Wahrscheinlich waren wir irgendwie auch so. Seufz.

Dukhtar

dukhtar_plakat2.7.2015 Am frühen Nachmittag im Kino Münchner Freiheit Dukhtar / Daughter. Die Filmemacherin Afia Nathaniel, gebürtige Pakistanin, die sich längere Zeit in verschiedenen internationalen Frauenprojekten engagiert hatte, war nicht anwesend, schickte aber eine Grußbotschaft auf Video und ließ darin keine Zweifel an der Zielsetzung ihres Films, den sie auch geschrieben, produziert und geschnitten hatte. Das Screening ihres Films auf dem Filmfest München widmete Nathaniel der pakistanischen Frauenrechtlerin Sabeen Mahmud, die vor kurzem ihr Engagement mit dem Leben bezahlt hat, und wünschte sich, dass die Zuschauer im Gedenken an Sabeen Mahmud und an die schwierige Situation von Frauen in Ländern wie Pakistan nach Hause gingen. Die junge Regisseurin (Jg. 1974) war dabei so engagiert und pathetisch, dass es einem fast Tränen in die Augen trieb. Ob das ein guter Einstieg zum Film war, sei dahingestellt.

Zwei Mädchen spielen auf einem Häuserdach in einem pakistanischen Dorf und plappern unbeschwert miteinander. Im Hintergrund ragen schneebedeckte Berggipfel in den Himmel.
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The Dark Horse

1.7.2015: Ach, war das schön, etwas fürs Herz! Das muss schließlich auch mal sein … The Dark Horse ist die neuseeländische Variante des protoamerikanischen kaputter-Trainer-bringt-Loosermannschaft-zum-Sieg-Sportfilms. Hier aber Schach statt Baseball, eine schwere psychische Erkrankung statt der üblichen Sauferei als Handicap des Trainers und neuseeländische Maori-Tristesse statt amerikanischem white trash. Die für dieses Genre oftmals unvermeidliche wahre Geschichte lautet hier: Irres Schachgenie bringt unterprivilegierten Kids in sechs Wochen das Spielen bei und schickt sie auf die Jugendmeisterschaft nach Auckland. darkhorse2Dieses Genie war der neuseeländische Blitzschachspieler Genesis Potini (1963–2011), genannt Gen, der in seiner psychischen Labilität mit seinem seltsamen Fokuhila-Haarschnitt und seinen fehlenden Vorderzähnen im Film auch äußerlich ziemlich überzeugend wie ein Irrer daherkommt. Ein sozialer Underdog im Körper eines Ringers.
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Mittwoch: In der Hitze The Dark Horse

1.7.2015: Heute nur ein Film, den Tag ansonsten mit „normaler Arbeit“ verplempert und damit, mir das Hirn von der unglaublichen Hitze wegbrennen zu lassen, die wohl gerade ganz Europa die Produktivität lahmlegt. *Stöhn* Freue mich auf den abendlichen Film um 19.30 Uhr (und den kühlen Kinosaal). Wie immer bin ich dann zu spät dran und habe Hunger. Also: Ich rase auf dem Rad herunter zum Kino, werfe schnell eine Kleinigkeit ein, stürze in den Kinosaal und: Ich fasse es nicht: Es ist n i c h t klimatisiert! Das gibt es doch nicht. Wenigstens wird The Dark Horse im großen Saal gezeigt! Ist ja auch besser für den Film, natürlich. Zum ersten Mal während dieses Festivals sehe ich den Abspann nicht bis zum Ende: Ich brauche Luft!

Und der Film? Ach, der war wirklich schön, etwas fürs Herz, was doch auch mal sein muss, eine neuseeländische Variante des protoamerikanischen kaputter-Trainer-bringt-Loosermannschaft-zum-Sieg-Sportfilms… Die Besprechung dann im nächsten Post.

Poet on a Business Trip

poet_shu30.6.2015. Shu, ein junger Dichter aus Shanghai, fährt mit Zug, Bus, per Anhalter und mit dem Taxi von Peking in die 4000 Kilometer entfernte Uiguren-Provinz Xinjiang. Schwarzweiß und auf Video gefilmt, assoziativ begleitet von 16 Gedichten des Dichters, die auf Mandarin und Englisch, mal von Shu selbst vorgelesen, mal lediglich über Ton und Bild geblendet werden. Gedreht wurde der Film im Jahre 2002, das Team bestand nur aus Ju Anqi, Regie und Kamera, und Shu, Dichter und Hauptdarsteller. Das Duo war vierzig Tage unterwegs, ohne Skript, ohne wirkliche Drehgenehmigung. Der Film wird zum intimen Reisetagebuch des Dichters, zum Porträt der chinesischen Provinz im Jahre 2002 und zugleich eine innere Reise in die iugurische Heimat des Regisseurs. poetBillige Absteigen, im Uigurenland Jurten, Begegnungen mit Lastwagenfahrern, immer wieder Aufnahmen der verschiedenen Busfahrer und der verwackelte Blick auf die endlose Straße vor uns, Gesang in kleinen Zimmern, die Prostituierten. Einhundert Minuten staubige Pisten, Meer, Wüste und Gebirge.
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Brüggemanns Heil!

30.6.2015. Wir befinden uns in Prittwitz (neue Bundesländer), unsere Neonazis, das ist eine „Kameradschaft“ der Deutschnationalen Partei, das Trio aus einem eitlen Anführer, einem hirnfreien Schläger und dem Dicken, der sich immer zurückgesetzt fühlt. heilUnd schon geht es los: Angestachelt von seiner Angebetenen (Anna Brüggemann als prollige Nazibraut Doreen) beschließt der Anführer Sven (Benno Führmann, sorry: Fürmann, kann der herrlich hohl mit seinen großen blauen Augen schauen!) Polen zu überfallen. Das heißt vielmehr, heimlich in Polen einzumarschieren, von der anderen Seite aus als Polen getarnt Deutschland zu beschießen und so die Deutschen zu seiner Invasion Polens zu provozieren. Die sind nämlich nicht aufm Kopp gefallen. Hm, genau.

Selbstredend werden alle Drei als V-Männer von gemütlichen Verfassungsschutzonkeln geführt und mit Hundertern gefüttert.
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Und so wurde der Dienstag

In großer Vorfreude radel ich durch die mittägliche Sommerhitze zum Schwabinger Kino, hole mir noch ein Eis und beobachte vor dem Kino entspannt die Festivalbesucher. Als ich fünf Minuten vor Vorstellungsbeginn selbst reingehen will, stelle ich fest, dass ich meinen Kalender samt Kinokarten zu Hause liegen gelassen habe. Scheiße. Ich also wieder aufs Rad und fetze wie eine Irre nach Hause, hoffe inständig, dass die Festivalbetreiber ihre Drohung nicht wahr machen, niemanden mehr nach Vorstellungsbeginn reinzulassen. Außer Atem, verschwitzt und sonnenbebrillt stolpere ich in den Saal, es ist ausverkauft, umständlich krame ich meine normale Brille aus der Tasche, nur vorne in der ersten Reihe wären noch ein paar Sitze frei. Doch auf Nackenstarre habe ich wirklich keine Lust, auf der Treppe darf ich nicht sitzen (Fluchtweg!) und so verfolge ich den Film vom Boden hinter der letzten Reihe aus. Ich sehe zwar nur einen Teil der Leinwand, aber es geht schon. Viel kann ich nicht verpasst haben, lediglich eine Art Vorerzählung, dann kommt der krawallige Vorspann mit punkiger Musik und trashiger Verarsche deutschnationaler Symbole, das lässt sich super an!

Nach der Vorstellung gibt es den Hauptdarsteller Jerry Hoffmann sowie Brüggemann himself, meine Güte, ist das eine (angenehme) Plaudertasche, endlich mal jemand, der viel und witzig und dabei nicht völlig Abseitiges redet. Nicht unsympathisch, beim hippen Kinovolk im Saal kommt er ebenfalls gut an, auch wenn niemand Fragen stellt – jedenfalls nicht, so lange ich da bin, denn: Ich muss los! Also wieder aufs Rad und bei mittlerweile gefühlt vierzig Grad mit ordentlich Karacho die Leopoldstraße runter – ich muss mich wirklich sputen, um rechtzeitig in das Kino in der Innenstadt zu kommen. Dort schaffe ich gerade mal aufs Klo und schon sitze ich im kleinen Saal – diesmal, und im Kontrast zum hippen Filmvolk gerade eben, inmitten grauhaariger Herrschaften. Ich bin freudig überrascht, wie viele Zuschauer der Film ins Kino gelockt hat. Mein heutiger Filmtag ist in der Kombination dieser beiden Filme wirklich krude. Den endgültigen Kulturschock erleide ich dann, als die ersten Bilder über die Leinwand flimmern – von der Extrem-Neonazi-Groteske zu verwackelten Handkamera-Schwarzweißbildern staubiger Straßen in der chinesischen Provinz…

So wird der Dienstag

Nach der gestrigen Pleite heute ein neuer Anlauf in die Filmfestbegeisterung. Natürlich kann es während eines Festivals gar nicht anders sein, dass mir mal ein Film nicht gefällt. Aber: Der Pasolini hat mir ja auch nicht wirklich gefallen, die gestrige Pleite dagegen war einfach nicht auszuhalten – da frage ich mich schon, wer die Auswahl der Filme getroffen hat… Jetzt aber Schluss damit!

Heute Nachmittag erwartet mich Dietrich Brüggemanns Heil! Auf meinem vormittäglichen Streifzug durchs Internet (ich hatte ja nichts zu tun – über die gestrige Pleite schreiben konnte ich ja nicht) sah ich mir den Trailer an und musste sehr über ein paar flache Witze lachen. Allerdings las ich auch schon zwei vernichtende Kritiken. Also: Ich bin wirklich sehr gespannt.

Direkt im Anschluss das Kontrastprogramm: Poet on a Business Trip von Ju Anqi, ein chinesisches Roadmovie über einen Dichter, der von Peking 4000 Kilometer in die Provinz Xinjiang fährt, das Land, in dem die Uiguren wohnen. Im Programm steht: „Radikales chinesisches Indie-Kino at its best!“. Uff!