Dukhtar

dukhtar_plakat2.7.2015 Am frühen Nachmittag im Kino Münchner Freiheit Dukhtar / Daughter. Die Filmemacherin Afia Nathaniel, gebürtige Pakistanin, die sich längere Zeit in verschiedenen internationalen Frauenprojekten engagiert hatte, war nicht anwesend, schickte aber eine Grußbotschaft auf Video und ließ darin keine Zweifel an der Zielsetzung ihres Films, den sie auch geschrieben, produziert und geschnitten hatte. Das Screening ihres Films auf dem Filmfest München widmete Nathaniel der pakistanischen Frauenrechtlerin Sabeen Mahmud, die vor kurzem ihr Engagement mit dem Leben bezahlt hat, und wünschte sich, dass die Zuschauer im Gedenken an Sabeen Mahmud und an die schwierige Situation von Frauen in Ländern wie Pakistan nach Hause gingen. Die junge Regisseurin (Jg. 1974) war dabei so engagiert und pathetisch, dass es einem fast Tränen in die Augen trieb. Ob das ein guter Einstieg zum Film war, sei dahingestellt.

Zwei Mädchen spielen auf einem Häuserdach in einem pakistanischen Dorf und plappern unbeschwert miteinander. Im Hintergrund ragen schneebedeckte Berggipfel in den Himmel.

Eine junge Frau hockt vor dem offenen Feuer und kocht. Als ein Mann mit grauem Bart eintritt und sich mit dem Rücken zu ihr in den Raum setzt, schöpft sie eine Portion Essen aus dem Topf und stellt den Teller vor ihn auf den Boden. Gesprochen wird nicht. Der ältere Mann ist der Clanchef Daulat Khan, die junge Frau seine Ehefrau Allah Rakhit und das jüngere der beiden Mädchen ihre gemeinsame zehnjährige Tochter Zainab.

Daulat Khan hat Sorgen, eine Fehde mit dem Nachbarsclan kostet viele Opfer. Er entschließt sich, dem gegnerischen Clanführer Tor Gul vorzuschlagen, sich zu versöhnen. Auf dem Weg dorthin wird er von schwer bewaffneten Kämpfern angehalten und mit einer Kapuze über dem Kopf hingefahren. Es herrscht Krieg in der Region, spätestens in dieser Szene wird das dem Zuschauer klar, die Clans bekämpfen sich gegenseitig und streben nach der Vorherrschaft, Menschenleben haben wenig Wert. Als Geste der Versöhnung fordert Tor Gul die Tochter des Daulat Khan zur Frau. Schon in dieser Woche soll Hochzeit gefeiert werden.

dukhtar2Die Mutter Allah Rakhit (Samiya Mumtaz), die ebenfalls bereits als Fünfzehnjährige verheiratet worden war, entschließt sich mit ihrer Tochter zur Flucht. Gejagt von den brutalen Schergen des zukünftigen Ehemannes des Kindes sowie vom Bruder des entehrten Daulat Khan versteckt Allah Rakhit sich mit Zainab (Saleha Aref) auf einem Lastwagen. Als der Fahrer sie entdeckt, will er sie zunächst fortschicken, dann hilft er ihnen und bringt sie schließlich an einen sicheren, friedlichen Ort zu Freunden. Allmählich verliebt sich Sohail (Mohib Mirza) in Allah Rakhit. Als sie darauf besteht, ihre Mutter, die sie seit ihrer Hochzeit als Kind nicht mehr sehen durfte, in der Stadt zu treffen, kommt es zur Katastrophe…

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Es ist ein schöner Film, die Kulisse der Berge Nordpakistans ist atemberaubend, und in Lahore taucht man zusammen mit Zainab, die zum ersten Mal aus dem Dorf in eine Stadt kommt, begeistert ein in die prächtigen Farben, die riesigen Gebäude, den Lärm, die verschiedenartigen Menschen, die Musik, das viele Licht. Aber es ist eben auch eine Reise durch eine Gesellschaft im Krieg, die Gewalt ist allgegenwärtig, Frauen und Mädchen werden bei Bedarf zur Ware degradiert. Eindrücklich zeigt der Film, welch absoluten und lebensdrohlichen physischen Bedrohungen Frauen in Pakistan allgegenwärtig ausgesetzt sind. Frauen sind lediglich durch eine diffuse Familienehre geschützt, vollständig von den männlichen Mitgliedern des Familienverbands abhängig. Es ist eine archaische Kultur, in der Frauen kein Respekt entgegengebracht wird, eine Existenzberechtigung jenseits ihrer reproduktiven Pflichten haben sie nicht.

Dukhtar ist ein wichtiger, wunderschön fotographierter Film über ein brisantes Thema. Schade nur, dass der Film ein bisschen so ist, wie früher feministische Literatur war: Engagiert, parteiisch und eindringlich – aber leider allzuoft schlecht geschrieben. Die Figuren bleiben holzschnittartig, die Liebesgeschichte zwischen der jungen Frau und dem Fahrer ist unglaubwürdig und kitschig und die Wahl von bombastischer bollywoodartiger Schlagermusik, die über den Film gepampt wurde, erschließt sich mir nicht. Es gibt viele gute Gründe, sich diesen politisch wichtigen Film anzusehen, Filmkunst gehört nicht dazu. Aber offenbar erzielt Afia Nathaniel ihre Absicht auch so, denn als der Film zu Ende ist, gibt es langen Applaus, und eine Frau hinter mir haucht zu ihrer Freundin: „Mein Gott, diese armen Frauen!“