ffcgn 2023 – fazit

So, das Filmfestival Cologne ist vorbei und ich habe trotz massiver Schwäche zwischendurch immerhin neun Filme gesehen, unter denen kein einziger war, der mir nicht gefallen hätte. Erwartungsgemäß waren das alles größere Produktionen. Richtige Geheimtipps waren wohl keine dabei, was auch gar nicht der Anspruch des ffcgn ist. Das Programm war unglaublich gut besucht, nach meinem Eindruck dürften fast alle Filme, in denen ich gesessen habe, ausverkauft gewesen sein. Und das Publikum war sehr jung. Mein persönlicher Favorit war wohl der japanische Kaibutsu – Monster von Kore-eda, dicht gefolgt von Campillos Île rouge.

quelle: diebe der nacht

Was ich verpasst habe und gerne noch sehen würde:

  • Do not expect too much from the end of the world von Radu Jude
  • Le retour von Catherine Corsini
  • Die Theorie von Allem von Tim Kröger, müsste jetzt auch direkt im Kino anlaufen.
  • Rapito von Marco Bellocchio über die Entführung eines jüdischen Kindes durch den Vatikan, nach einer wahren Geschichte im 19. Jahrhundert
  • Vienna Calling – Doku von Philipp Jedicke über die Undergroundmusikszene in Wien
  • Natürlich die Anatomie d’une chute von Justine Triet, der Film muss wirklich beeindruckend sein
  • Les filles d’Olfa, ein Doku-Reenactement-Drama der tunesischen Filmemacherin Kaouther Ben Hania über die Verarbeitung des Verschwindens zweier Mädchen

Die Carte Blanche der Kölner Filmpreisgewinnerin Justine Triet, die ich übrigens nur nach Nachfrage bei den Kuratorinnen gefunden und deswegen auch nichts davon gesehen habe, umfasste folgende Filme:

  • Allen Kings umstrittene Doku Warrendale (Kanada 1967) über eine alternative Kinderpsychiatrie
  • The Boston Strangler von Richard Fleischer (1968) mit Tony Curtis und Henry Fonda
  • den Spuk-Horrorfilm The Changeling von Peter Medak aus dem Jahr 1980
  • Soderberghs Sex, Lies, and Videotape (1989)
  • und den phänomentalen Toni Erdmann von Maren Ade

ffcgn – mein letzter tag

quelle: https://gaga.ne.jp/kaibutsu-movie/news/

Meinen Ausflug aufs Filmfestival Cologne schließe ich in diesem Jahr mit zwei japanischen Produktionen ab. Zuerst steht 怪物 – Kaibutsu – Monster auf dem Programm, dem neuen Film von Hirokazu Kore-eda. Ich hatte seinen Shoplifters damals ganz gerne gesehen und bin gespannt, welche Geschichte er in diesem Film über den kleinen Minato erzählen wird.

Spät wird es dann mit meinem letzten Film auf diesem Festival werden: Gift von Ryūsuke Hamaguchi, den der Regisseur von Drive my car aus dem Material zu seinem aktuellen Film Evil does not exist (lief auch hier auf dem ffcgn, habe ich aber nicht gesehen) kürzer und ohne Dialoge montiert hat. Der Titel ist programmatisch: Der Regisseur beschenkt die Filmkomponistin mit einem einzigartigen Stück Film und die Filmkomponistin von Evil does not exist, die Musikerin, Singersongwriterin und Multiinstrumentalistin Eiko Ishibashi, schenkt ihm – und damit im Ergebnis uns, dem Publikum – eine Liveperformance der Filmmusik zurück: Sie spielt ihren Score in dieser Nachtvorstellung live zum Screening des Films – ein ganz besonderer Abschluss des Filmfestivals Cologne.

hitman

Gary (Glen Powell) ist ein braver und etwas einsamer Durchschnittstyp, der mit seinen beiden Katzen in einem bescheidenen kleinen Häuschen in den Suburbs von New Orleans lebt und in seiner Freizeit Vögel beobachtet. Als Dozent unterrichtet an der Universität Psychologie und Philosophie. Naja, im Nebenberuf verdingt er sich noch als Tech-Nerd bei der Polizei. Als es zu einem personellen Engpass kommt, springt Gary als vermeintlicher Auftragskiller ein. Sehr zu seinem Erstaunen ist er ziemlich gut darin und findet einigen Gefallen daran, wenn die Auftraggeber auf ihn hereinfallen – und danach direkt in den Knast wandern. „hitman“ weiterlesen

ffcgn – tag 4

quelle: imdb

Insgesamt hat mich die Schwäche erwischt, gestern bin ich komplett ausgefallen und heute schaffe ich es nur in einen einzigen Film. Der aber ist ein wie kleines süßes Bonbon: Hitman, leichte Kost von Richard Linklater, entlässt mich aus der Spätnachmittagsvorstellung beschwingt in den Abend.

ffcgn tag 3

Heute geht es am Nachmittag weiter mit dem neuen Film von Todd Haynes. Mit den Bilder von seinem wunderbaren Carol im Kopf erwarte ich großes Kino, richtige Stars gibt es jedenfalls schon mal: Julianne Moore und Natalie Portman. May December handelt von einem Skandal um eine Liebesbeziehung zwischen einem Dreizehnjährigen und einer sehr viel älteren Frau. Als zwanzig Jahre später, die beiden sind immer noch zusammen, die Geschichte verfilmt werden soll, trifft sich die Schauspielerin mit dieser Frau.

Am Abend wartet die Herausforderung dieses Festivals auf mich: eine vierstündige Doku über die französische Spitzengastronomie. In Menus Plaisir – Les Troisgros porträtiert der Amerikaner Frederick Wiseman ein Dreisterne-Restaurant, das 2020 einen zusätzlichen grünen Stern für Nachhaltigkeit erhalten hat. Ich bin sehr gespannt, wie lange ich durchhalte.

Le procès Goldman

Die Vorgeschichte: Im seinerzeit in Frankreich vieldiskutierten Goldman-Skandal ging es um den linken Politaktivisten Pierre Goldman, der im Verdacht stand, mehrere Überfälle sowie einen Doppelmord begangen zu haben, und 1969 verhaftet wurde. Während er sofort alle Überfälle gestand, stritt er die Mordanklage immer vehement ab. 1970 wurde er trotzdem aller Taten schuldig gesprochen. Im Gefängnis schrieb er anschließend ein Buch über seine Version der Geschichte („Souvenirs obscurs d’un juif polonais né en France“), das dazu führte, dass sich unter Beteiligung von bekannten linken Intellektuellen wie Régis Debray und Jean-Paul Sartre ein Unterstützungskommittee bildete, dem unter anderen auch die ausgewiesen linke Schauspiellegende Simone Signoret angehörte. 1976 kam es zur Wiederaufnahme des Prozesses. „Le procès Goldman“ weiterlesen

ffcgn tag 2

Heute geht es zuerst ins Gericht im Jahr 1976, wo Pierre Goldman unter Mordanklage steht. Doch der Angeklagte leugnet und behauptet, er sei Opfer eines antisemitischen und faschistischen Komplotts. Cédric Kahn erinnert mit Le procès Goldman (The Goldman Case) im Genre des Gerichtsfilms an den damaligen Justizskandal und porträtiert damit zugleich eine ganze Ära der französischen Linken.

Nach der Verfilmung dieses historischen Stoffes sehe ich die dokumentarisch-essayistische Spurensuche Retratos fantasmas (Pictures of Ghosts) von Kleber Mendonça Filho, in der sich der von mir bewunderte Brasilianer (Aquarius und Bacurau) auf sehr persönliche Weise mit dem Wandel seiner Heimatstadt Recife auseinandersetzt.

L’île rouge

Ich mache jetzt alles falsch und beginne mit dem Ende des Films: Miangaly (Amely Rakotoarimalala) durchschreitet das Tor des Militärgeländes nach draußen und steht in einer anderen Realität: in ihrem eigenen Leben, in einer Welt, die wir den ganzen Film über nicht gesehen haben. Die eigentliche Welt ihres Landes Madagaskar, der roten Insel (L’île rouge / Red Island). Der narrative Bruch irritiert. Aber plötzlich sehen wir auch, dass die französische Kolonialwelt, in der wir die letzten eineinhalb Stunden verbracht haben, schwer bewacht und mit Stacheldraht umzäunt ist, wie abgeschirmt sie von diesem Land und seiner Bevölkerung ist. Und dass ihr Schicksal eine völlig andere Geschichte ist.

Inspiert von seinen Kindheitserinnerung nahm uns Robin Campillo mit in das Leben der Angehörigen der französischen Militärs Anfang der 1970er Jahre, die in Madagaskar auch nach der Unabhängigkeit 1960 stationiert waren. Ein sorgloses Leben im Wohlstand, unter Freunden, wie ein nie endener Urlaub im Paradies. Es gibt das großzügige eigene Haus mit Angestellten, durch die gut eingeübt hindurchgesehen wird, Parties, den Swimmingpool für die Nachmittage, den Strand am Abend. „Das ist der schönste Ort auf der ganzen Welt“ ist ein Satz, der mehrmals fällt.

„L’île rouge“ weiterlesen

ffcgn tag 1

Ich werde das Kölner Filmfest mit zwei besonderen Filmen beginnen, auf die ich mich wirklich freue: Am Nachmittag werde ich L’île rouge (Red Island) sehen, die von Kindheitserinnerungen inspierte Erzählung auf Madagaskar in den 1970er Jahren von Robin Campillo, dessen Eastern Boys ich sehr geschätzt habe und dessen 120 battements par minute ganz oben auf meiner Wunschliste der noch ungesehenen Filme steht.

Danach gibt es All of us strangers von Andrew Haigh mit Andrew Scott und Paul Mescal, hui hui hui … und mit Jamie Bell und Claire Foy – was für ein Cast! Beide Vorstellung auf dem Filmfest sind restlos ausverkauft. Und ich habe selten unter so jungen Menschen im Kinosaal gesessen.

Film Festival Cologne 2023

Die Diebe der Nacht sind zum zweiten Mal (zum ersten Mal 2016) auf dem verhältnismäßig kleinen schön kuratierten Filmfestival in Köln – es ist die 33. Ausgabe vom 19. bis 26. Oktober. Es ist eher konventionell programmiert, aber das in einem gutem Sinne – ich bin voller froher Erwartungen! Eröffnet wurde gestern Abend mit Catherine Corsinis Le retour, den ich leider nicht geschafft habe. Und heute weiß ich auch schon, dass ich zwei weitere Filme verpassen werde, die hier laufen und ich gerne gesehen hätte (ich tröste mich damit, dass ich davon ausgehe, dass sie es wohl in die Kino schaffen werden): Justine Triets Cannes-Gewinner Anatomie d’une chute sowie Die Theorie von Allem, mit dem Timm Kröger in Venedig einige Beachtung gefunden hat. Die internationalen Filme laufen in den drei Hauptreihen Best of Cinema Fiction, Best of Cinema Documentary und Look. Außerdem gibt es eine Hommage über der hyperaktiven frankokanadischen (heute gar nicht mehr so jungstarrigen) Regisseur Xavier Dolan. Und Preisträgerin des diesjährigen Filmpreises Köln ist erwähnte Justine Triet, die angeblich im Rahmen einer Carte Blanche dieses Jahr ein paar ihr wichtige Filme zusammengestellt hat, die ich aber bislang nicht finden konnte.