1.7.2015: Ach, war das schön, etwas fürs Herz! Das muss schließlich auch mal sein … The Dark Horse ist die neuseeländische Variante des protoamerikanischen kaputter-Trainer-bringt-Loosermannschaft-zum-Sieg-Sportfilms. Hier aber Schach statt Baseball, eine schwere psychische Erkrankung statt der üblichen Sauferei als Handicap des Trainers und neuseeländische Maori-Tristesse statt amerikanischem white trash. Die für dieses Genre oftmals unvermeidliche wahre Geschichte lautet hier: Irres Schachgenie bringt unterprivilegierten Kids in sechs Wochen das Spielen bei und schickt sie auf die Jugendmeisterschaft nach Auckland. Dieses Genie war der neuseeländische Blitzschachspieler Genesis Potini (1963–2011), genannt Gen, der in seiner psychischen Labilität mit seinem seltsamen Fokuhila-Haarschnitt und seinen fehlenden Vorderzähnen im Film auch äußerlich ziemlich überzeugend wie ein Irrer daherkommt. Ein sozialer Underdog im Körper eines Ringers.
Unter dem zu seiner Statur gut passenden Spielernamen The Dark Horse (aber eigentlich etwa: das unbeschriebene Blatt) gewann er einige wichtige Turniere, doch mit dem Stress und der starken Anspannung des Spiels brach er zusammen und wurde wieder in die Psychiatrie eingewiesen. Jetzt darf er wieder raus, doch sein Bruder schmeisst ihn aus dessen Bruchbude und er lebt nun auf der Straße. Er setzt trotzdem alles daran, seinen Plan umzusetzen. Es ist beeindruckend, wie nuanciert Cliff Curtis den hochintelligenten, behutsamen wie hyperaktiven, versehrten und um sein Überleben kämpfenden Mann spielt, seine panische Ängste bei psychotischen Schüben, sein körperliches Ausagieren von seelischen Nöten und seine Unbestechlichkeit und Beherrschtheit in Bezug auf andere Menschen.
Sicherlich, es ging auch um Schach in The Dark Horse. Vor allem aber um (maoirisch-neuseeländische) Identität und die dem Genre angemessen schlichte Message, dass jeder ein Recht darauf haben sollte, seinen Lebensweg selbst zu bestimmen. Diese und andere Klischees übersieht man wohl auch deswegen gerne, weil man bei diesem sympatischen Film, seinen großartigen Darstellern und seiner ruhigen Machart auch die reale Person des Genesis Potini vor Augen hat, der ein beeindruckender Mensch mit großem Charisma und starkem Willen gewesen sein muss. (Unverzeihlich allerdings das Plakat mit Erlöser-Pose und der grauseligen Gutmenschenparole „bravery is contagious“, hätte ich das Plakat vorher gesehen, hätte mir den Film niemals angesehen!) Natürlich ist eine Geschichte wie diese (psychisch Kranker hilft von der Gesellschaft abgeschriebenen Kindern und Jugendlichen und rettet so auch seine versehrte Seele) kitschig. Aber, verteidigt sich die geneigte Zuschauerin, Genesis Potini hat es wirklich gegeben – und dem Regisseur James Napier Robertson gelingt das Kunststück, nicht auf die Tränendrüse zu drücken. Ich habe nicht geheult, nein, kein bisschen! Wirklich! Ganz ehrlich! Allerhöchstens ein winziges Rührungstränchen hing mir im Augenwinkel, aber das musste nicht einmal verschämt beim Herausgehen weggewischt werden. Ein kleiner, schöner Film.