Das letzte Wort auf dem Kölner Filmfestes hatte in meinem Falle Claire Denis. Nach dem melancholisch-unsentimentalen Nénette et Boni sah ich am letzten Abend White Material, Claire Denis war im Anschluss anwesend. Isabelle Huppert als störrische Besitzerin einer Kaffeeplantage in einem afrikanischen Land, in dem gerade der Bürgerkrieg ausbricht. Es ist eine irritierende Perspektive, die hier eingenommen wird: Ein Film über ein afrikanisches Land aus der Perspektive einer Weißen, der ganze Film um die Hauptfigur herum erzählt. Der Film, den Claire Denis 2009 zusammen mit Marie NDiaye schrieb, tanzt um Isabelle Huppert, deren Bewunderung Denis im Anschluss an die Vorstellung vom Rotwein beseelt beherzt Ausdruck gab. Ein etwas sonderbares Ende des filmfestival cologne 2016.
Kategorie: filmfest köln 2016
Vorletzter Tag auf dem Festival Köln
Bislang ist die Festivalbilanz prächtig, an den drei Tagen habe ich überwiegend tolle Filme gesehen. Und dann der Mittwoch: Zunächst Paul Verhoevens neuer Film: Elle, das ist (fast möchte man sagen: natürlich) Isabelle Huppert als eine wunderbar biestig geratene elegante Pariserin, die in ihrem Haus vergewaltigt wird, Opfer aber höchstens zu Beginn ist. Hintergründiges, spannendes, witziges und vor allem ausgesprochen intelligent geschriebenes Hochglanzkino (Drehbuch: David Birke) nach einer Romanvorlage von Philippe Djian! Brilliant. In Claire Denis‘ Nénette et Boni am Abend geht es aus der Gegenwart in die Neunziger, aus dem mondänen Paris in ein heruntergekommenes Viertel von Marseille. Die zarte, unsentimental erzählte Geschichte des in den schweren sexuellen Nöten eines verliebten Achtzehnjährigen steckenden Boni und seiner jüngeren ungewollt schwangeren Schwester Nénette, jungen Menschen, auf sich selbst zurückgeworfen, stark und schön, sehr einsam. Eine ruppige Geschwisterliebe in einer rauen Umwelt.
Oscuro animal
Gezielte Überfälle auf Zivilisten, Dörfer werden ausradiert oder Passagiere von Linienbussen erschossen. Es herrscht Krieg im Dschungel von Kolumbien. Rebellen oder Soldaten, massive Gewalt auf allen Seiten, Leichen werden in anonyme Massengräber geworfen und verbrannt, Sklavinnen gehalten und brutal vergewaltigt, Frauen morden in den militärischen oder paramilitärischen Strukturen mit und müssen zugleich für sexuelle Dienste zur Verfügung stehen. Die Grenzen zwischen Uniformen, zwischen Täter und Opfer verschwimmen. „Oscuro animal“ weiterlesen
Vierter Festivaltag in Köln
Nachdem ich am dritten Festivaltag von einer unbestimmten Filmmüdigkeit überwältigt worden und deshalb ausgefallen war, startete ich am Dienstag mit neuer Energie in den vierten Festivaltag: Am frühen Nachmittag gab es den kolumbianischen Oscuro animal von Felipe Guerrero über den Krieg in Kolumbien, der mir dann mit seinen poetisch gemeinten Symbolismen etwas überfrachtet im Magen lag. Direkt im Anschluss an diese schwere Kost hatte es Ira Sachs‘ Little Men bei mir ein bisschen schwer, obwohl der Film eine genau beobachtete Coming-of-Age-Geschichte erzählt, eine enge Freundschaft zweier unterschiedlicher Jungen in einem von Gentrifizierung unter Druck stehenden und sich veränderten Viertel von New York. Ein kleiner, sehr schöner Film. Zugunsten eines Kneipengangs ließ ich dann den ursprünglich für den späten Abend geplanten Rester Vertical von Alain Guiraudie sausen, in den ich mich, den trashigen und reichlich expliziten Inconnu du lac kennend, eh nicht so richtig traute.
Volt
| r tarek ehlail | d 2016 | b tarek ehlail | kam mathias prause | ed andrea mertens | a benno fürmann : stipe erçeg : sascha alexander geršak : andré m. hennicke |
Dystopischer Flüchtlingskrisen-Thriller. Hardboiled. Film noir. Silber-grau-atmosphärisch-dunkles Farbsetting, dichte Nahaufnahmen (Kamera: Mathias Prause), schneller Schnitt (Andrea Mertens). Überlaute Musik treibt in harten Hip Hop- und Technobeats den Film vor sich her. Genrekino halt. So etwas darf, muss viril sein. Dass harte Männer ununterbrochen fluchen, versteht sich von selbst. Dürfen auch koksende Unterweltsladys ficken, wenn es denn sein muss. Und rassistische Sprüche gehören zur Grundausstattung der Polizisten einer Einheit, die „in naher Zukunft“ die in einer sogenannten Transitzone ghettoisierten Geflüchteten terrorisieren, um der deutschen Wohlstandsgesellschaft ihre Ruhe zu sichern. „Volt“ weiterlesen
Certain Women
Leises rhythmisches Rasseln im Vorspann. Doch bevor der eigentliche Song beginnt, weicht er in der ersten Einstellung des Film dem immer näher kommenden Signal eines Zuges, der in der weiten Landschaft zunächst kaum auszumachen ist. Hinten am Horizont sind im Morgengrauen zwei kleine, fast bewegungslose Lichter zu sehen. Die Gleise machen in der hinteren Ecke des Filmbildes eine Biegung, dann richten sie sich gerade auf den Blickwinkel der Kamera aus. Eine Hochebene, gesäumt von schneebedecktem Hochgebirge. Der Güterzug windet sich langsam auf die Gerade zu, endlose Waggonreihen, das Zugsignal in dieser menschenverlassenen Gegend wird aus unerfindlichen Gründen immer häufiger. „Certain Women“ weiterlesen
Start des filmfestival.cologne
Kölner Filmfest. Die Cologne Conference heißt seit diesem Jahr Film Festival Cologne (http://filmfestival.cologne/, 7. bis 14. Oktober 2016). Der diesjährige Filmpreis wird an Claire Denis gehen.
Heute steht für mich auf dem Programm: Certain Women von Kelly Reichardt (der Regisseurin von Night Moves) sowie Volt von Tarek Ehlail. Maximales Kontrastprogramm: Frauen im mittleren Westen versus viriles deutsches Dystopiekino.
Jetzt muss ich mich beeilen.