Poet on a Business Trip

poet_shu30.6.2015. Shu, ein junger Dichter aus Shanghai, fährt mit Zug, Bus, per Anhalter und mit dem Taxi von Peking in die 4000 Kilometer entfernte Uiguren-Provinz Xinjiang. Schwarzweiß und auf Video gefilmt, assoziativ begleitet von 16 Gedichten des Dichters, die auf Mandarin und Englisch, mal von Shu selbst vorgelesen, mal lediglich über Ton und Bild geblendet werden. Gedreht wurde der Film im Jahre 2002, das Team bestand nur aus Ju Anqi, Regie und Kamera, und Shu, Dichter und Hauptdarsteller. Das Duo war vierzig Tage unterwegs, ohne Skript, ohne wirkliche Drehgenehmigung. Der Film wird zum intimen Reisetagebuch des Dichters, zum Porträt der chinesischen Provinz im Jahre 2002 und zugleich eine innere Reise in die iugurische Heimat des Regisseurs. poetBillige Absteigen, im Uigurenland Jurten, Begegnungen mit Lastwagenfahrern, immer wieder Aufnahmen der verschiedenen Busfahrer und der verwackelte Blick auf die endlose Straße vor uns, Gesang in kleinen Zimmern, die Prostituierten. Einhundert Minuten staubige Pisten, Meer, Wüste und Gebirge.

Ein Gespräch mit einem Schafshirten, körperliche Hygiene, der Gang auf den Donnerbalken. Radikale Intimität, vollkommene Subjektivität aus dem Gesichtsfeld des Dichters. Ein Poet on a Business Trip eben.

poet_posterDer bei der Vorführung anwesende Produzent des Films Li Zhenhua, ein beeindruckender massiger Mann mit intellektueller LeCorbusier-Brille, der nach der Vorführung in exzellentem Englisch ausführlich über den Film sprechen wird, überbringt zunächst Grüße des Regisseurs Ju Anqi, der gerade mit gebrochenem Bein im Krankenhaus liegt und zu seinem großen Bedauern nicht kommen kann. Dafür schickt er einen filmischen Gruß, der vor dem Screening des Films abgespielt wird, zusammen mit einem Goethegedicht und einem Foto von ihm im Krankenhaus (den Filmbrief kann man sich hier ansehen). Li Zhenhua liefert viel zur Entstehunggeschiche des Films nach, was den reichlich sperrigen und langsamen Film nachträglich greifbarer macht. Wie anders die Zeiten 2002 noch waren, als die Intellektuellen noch heterogene Gruppen aus Filmemachern, Schriftstellern, Musikern und Theaterleuten bildeten. Als Ju Anqi seinen Freund, den Dichter Shu, als Protagonisten für seinen Film gewinnen konnte, steckte er ihn zur Probe für ein paar Tage in die billigste Absteige in Shanghai. Doch die vierzig Tage ihres Roadtrips werden für Regisseur und Dichter dann so anstrengend und belastend, dass ihre Freundschaft daran zerbricht. Die letzte Szene des Film steht symbolisch für dieses Zerwürfnis: Früh morgens packt Shu seine Sachen, verlässt die Unterkunft und man sieht ihm nach, wie er zu Fuß die große Straße in das Morgengrauen hineingeht, weg von der Kamera, weg vom Regisseur. Der Bruch war endgültig und auch ein Grund dafür, dass das viele Material – pro Tag wurden im Schnitt vier Stunden gedreht – mehr als 10 Jahre in der Schublade gelegen hat. Das Land hat sich seitdem enorm verändert, die Menschen sind älter geworden, das Zerwürfnis zwischen Ju Anqi und Shu hat sich in der Dramatik abgekühlt. Erst 2013 hat sich der Regisseur an das Material getraut und den Film zusammen mit seinem Cutter Wang Kang montiert. Ein Roadmovie ohne Erzählung, assoziativ untermalt von Shus freier Lyrik, radikal privat und authentisch, ein starkes Stück Film.

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