Nachdem ich den dritten Tag pausieren musste, konnte ich meinen Besuch des Internationalen Frauenfilmfests am vierten Festival- und meinem letzten Tag mit zwei wunderbaren Dokumentarfilmen beenden: Am frühen Abend sah ich im Filmforum des Museums Ludwig einen mich tief beeindruckenden chilenischen Film. Die junge Filmemacherin Lissette Orosco begleitete sich mit der Kamera bei ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Lieblingstante Adriana, nachdem herausgekommen war, dass diese nicht nur bei der Pinochet-Geheimpolizei DINA gearbeitet hatte, sondern noch dazu in einem erst 2007 entdeckten Folter- und Todeslager. Die Nichte recherchiert, die Tante weist jede Verantwortung von sich – und hält sich an den Schweigepakt, ihren eigenen Pacto de Adriana. Ein ruhiger Film, in dem Orosco beeindruckend mit einfachen filmischen Mitteln den richtigen nüchternen Ton trifft. Am späten Abend ging es dann in Mayyel ya ghazayyel (Those Who Remain) der libanesischen Regisseurin Eliane Raheb, ein filmisches Porträt über Haykal, einen so eigenwilligen wie charismatischen Bauern und Restaurantbetreiber im Al-Shambouk-Gebirge. Ein Leben in wunderschöner Berglandschaft, aus der die Jungen in die Städte abwandern, und Bedrohungen des syrischen Kriegs und der ISIS nur wenige Kilometer entfernt sind.
Kategorie: festivalberichte
benzine
Salem und Halima leben im Hinterland der tunesischen Küstenstadt Gabès. Landwirtschaft können sie auf den kargen Böden nicht betreiben, dafür ist es hier zu trocken. Ihnen bleiben ein paar Olivenbäume und Ziegen, die sie neben ihrem kleinen Haus in der vergessenen Gegend halten. Um zu überleben, betreibt Salem eine improvisierte Tankstelle, an der er geschmuggelten Sprit aus Kanistern verkauft. Jeden Tag steht er an der Schnellstraße in Wind, Wetter und Sonne, während die Lastwägen an ihm vorbeidonnern. Perspektiven für junge Leute und ein besseres Leben: Fehlanzeige. „benzine“ weiterlesen
ifff 2018 – dritter tag
Nach dem gestrigen – wunderbaren – Estiu 1993 stehen heute zwei weitere Filme aus dem Wettbewerb um den besten Debüt-Spielfilm auf meinem Programm (Jury: die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi, die französische Kamerafrau und Regisseurin Muriel Coulin sowie die österreichische Schauspielerin Ursula Strauss). Am frühen Abend werde ich den tunesischen Film Benzine von Sarra Abidi sehen, der von einem Ehepaar erzählt, dessen Sohn sich auf den Weg nach Italien begeben hat und von dem seit dem jedes Lebenszeichen fehlt. Direkt im Anschluss gibt es den italienisch-französischen Politthriller Dopo la guerra! von Annarita Zambrano über das Schicksal ehemaliger italienischer Linksextremisten in Frankreich.
estiu 1993
Estiu 1993 (Sommer 1993) beginnt langsam. Die ersten Einstellungen fangen immer wieder das Profil eines lockengerahmten gebräunten Kindergesichts ein, dessen regungsloser Blick sich auf ein Geschehen außerhalb des Bildausschnitts heftet. Gedämpft erklingen Gespräche und Musik. Als die Handkamera dem Blick des Kindes folgt, sehen wir mit ihm durch den Türrahmen in den anderen Raum der Wohnung, in dem Erwachsene räumen, ein Mann Gitarre spielt und jemand dazu eine traurige Melodie singt. Streng werden wir in den ersten Szenen auf die Perspektive der Protagonistin eingeschworen, die sechsjährige Frida (Laia Artigas) wahrt sorgsam ihren Abstand zur Welt. Und zu Ereignissen, die sie nicht wirklich versteht: ein Umzug von der Stadt aufs Land, zu einer Frau und einem Mann, die vertraut, aber nicht ihre Eltern sind. Erste Schritte in der fremden Umgebung eines Bauernhauses in den katalanischen Bergen, unsichere Erkundungen. Und dann ist da Anna (Paula Robles), die dreijährige Tochter ihrer neuen Eltern. „estiu 1993“ weiterlesen
internationales frauenfilmfestival dortmund|köln 2018
Nach einigem hin und her hat es jetzt doch geklappt – ich bin zum ersten Mal auf dem Köln-Dortmunder Internationalen Frauenfilmfestival, das dieses Jahr in Köln stattfindet – ich freue mich! Für den Eröffnungsfilm draußen (Doku von Tama Tobias-Macht und Johanna Sunder-Plassmann über vier Wohnungslose in Köln, die mich sehr interessiert hätte) war ich leider zu spät dran, deswegen beginnt es für mich erst am zweiten Festivaltag mit Estiu 1993, einem Sommerfilm der Katalanin Carla Simón über ein Mädchen in seelischen Nöten.
djam
Djam ist der neueste Film von Toni Gatlif, er feierte in Cannes im Mai Welt-, und in Hof jetzt Deutschlandpremiere, Ende April 2018 wird er voraussichtlich in die hiesigen Kinos kommen. Wieder erzählt Gatlif die Geschichte einer frei- und eigensinnigen Frau: Djam wird von Kakourgos (Simon Abkarian) nach Istanbul geschickt, um ein Ersatzteil für sein Boot zu besorgen. Zusammen mit der in Istanbul gestrandeten Avril (Maryne Cayon) reist Djam (Daphné Patakia) durch die Türkei und Griechenland, mit den beiden jungen Frauen hören wir Rembetiko, die Musik der zu Atatürks Zeiten aus der Türkei vertriebenen Griechen, und blicken (nur scheinbar nebenbei) auf die aktuell von den vielen übers Meer geflüchteten Menschen übriggebliebenen Schlauchboot- und Schwimmwesten-Berge, surreales Plastik-Monument für das Schicksal von Hundertausenden und den Tod von Tausenden verzweifelter Menschen.
Auch hier wieder eine unbändige, freie Persönlichkeit, die den Widrigkeiten der Welt Lebenslust und Sinnlichkeit entgegensetzt. Im Vergleich zu den seinen anderen Filmen (etwa Exils, Swing oder Transylvania) fällt Djam allerdings im Tempo zurück, Gatlif gelingt es hier weniger, an seine Beschwingtheit im Ton und Leichthändigkeit im Umgang mit schwierigen Themen anzuknüpfen. Die Story wirkt etwas beliebig, die Figur Djam in ihrem Trotz gewollt und konstruiert. Und ich kann nicht umhin, mich davon irritieren zu lassen, dass so wie der Regisseur älter, seine Hauptdarstellerin jünger, schöner und blonder wird.
ffh 2017: der vierte tag
… Und es wurde gestern tatsächlich eine lange Filmnacht ganz im Zeichen von Tony Gatlif, bin völlig begeistert von dem leichtfüßigen Swing und dem heftigen Exils, muss danach erst mal etwas erschöpft ein Bier trinken, um dann doch noch in die Spätvorstellung von Transylvania zu rasen. Diese Filme bestechen mit ihrer Kraft, Lebensfreude, Intensität und Menschlichkeit, ich wünsche mir beim Zusehen, sie würden einfach nicht mehr aufhören. Entsprechend müde komme ich heute morgen nicht aus der Kiste. Mein erster Film ist erst abends, ich habe also den ganzen Zeit, in Ruhe die Filme von gestern zu besprechen.
Das sonstige Hofer Programm verblasst für mich angesichts des Sogs, den die Gatlif-Filme auf mich ausüben. Heute Abend werde ich mir entsprechend zuerst seinen neuesten Film Djam ansehen, der hier in Hof Deutschlandpremiere feiert. In der Spätvorstellung geht es dann wohl in Gadjo Dilo.
transylvania
| r toni gatlif | F 2006 | transylvania | a asia argento | a birol ünel |
Aus Südfrankreich nach Transsylvanien: Das ist die Reise, die Zingarina zusammen mit ihrer Freundin Marie antritt, um Milan zu finden. Der Musiker ist ihre große Liebe und der Vater ihres ungeborenen Kindes, der sie plötzlich und ohne Erklärung verlassen hatte, um in seine Heimat zurückzukehren. Als sie ihn findet und von ihm zurückgewiesen wird, bricht sie zusammen. Sie verlässt Marie und schließt sich, planlos in ihrem Schmerz, dem nächsten Straßenkind an. Verwahrlost wird sie von Tchangalo aufgelesen, der sich in Rumänien mit halbseidenen Geschäften durchschlägt. Die beiden Streunenden tingeln nun gemeinsam in seinem Mercedes übers Land, leben draußen, übernachten im Wagen in Wäldern, am Straßenrand. „transylvania“ weiterlesen
exils
Ein französisches Paar Anfang zwanzig: die algerienstämmige Naïma (Lubna Azabal) und der von Algerienfranzosen abstammende Zano (Romain Duris). Sie beschließen, das Land ihrer Herkunft zu besuchen, das sie nie betreten haben: Zu Fuß, mit Zug und Bus reisen sie über Spanien nach Algerien. Sie fahren schwarz und schlafen unter freiem Himmel, waschen sich in öffentlichen Brunnen. Ein modernes Hippie-Pärchen, jung, frei und ungezwungen, unbändig in ihrer Liebe zueinander, immer Musik auf den Kopfhörern. Und lernen auf ihrer Reise verschiedene Menschen kennen, Geflüchtete und fahrendes Volk: Zano und Naïma werden von einer Roma-Gruppe zum Kaffee eingeladen und übernachten mit ihnen unter Planen, verbringen ein paar Tage mit dem algerischen Geschwisterpaar Habib und Leila, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft versuchen, sich nach Paris durchzuschlagen, verbringen eine aufgeladene Nacht in Flamenco-Locations in Sevilla. „exils“ weiterlesen
swing
Der erste Film aus der diesjährigen Retrospektive auf den Hofer Filmtagen, die Tony Gatlif gewidmet ist. Ich bin begeistert. Erzählt wird aus der Perspektive des vielleicht zehnjährigen Max (selbstbewusst und angenehm: Caspar Copp), der die Ferien bei seiner Großmutter in Straßburg verbringt. Max hört in einer Bar einen Mann Jazz Manouche auf der Gitarre spielen und setzt sich in den Kopf, diese Musik zu lernen. Im Austausch für Schreib- und Lesedienste überredet er Miraldo, ihm Unterricht zu geben. Max verliebt sich in Swing, ein burschikoses Manouche-Mädchen, das er zunächst für einen Jungen hält und taucht tief ein in die Welt der Manouches, sesshaften Sinti. Er hört sie ihre Sprache sprechen, lässt sich Fotos zeigen, Miraldo erzählt ihm über die Lebensweise der Manouches, Swings Großmutter über die Deporationen im besetzten Frankreich, die in ihrer Familie nur sie und ihr Bruder überlebten. „swing“ weiterlesen