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Salem und Halima leben im Hinterland der tunesischen Küstenstadt Gabès. Landwirtschaft können sie auf den kargen Böden nicht betreiben, dafür ist es hier zu trocken. Ihnen bleiben ein paar Olivenbäume und Ziegen, die sie neben ihrem kleinen Haus in der vergessenen Gegend halten. Um zu überleben, betreibt Salem eine improvisierte Tankstelle, an der er geschmuggelten Sprit aus Kanistern verkauft. Jeden Tag steht er an der Schnellstraße in Wind, Wetter und Sonne, während die Lastwägen an ihm vorbeidonnern. Perspektiven für junge Leute und ein besseres Leben: Fehlanzeige.

Der zwanzigjährige Sohn von Halima und Salem jedenfalls sah wie viele seiner Generation keine Zukunft in dem ökonomisch wie politisch zerrütteten Land. Eines Tages verschwand er. Ohne auf Wiedersehen zu sagen, trat er die gefährliche Reise an: Mit der Hilfe von Schleppern versuchte er, über das Meer nach Italien zu kommen. In eine bessere Zukunft. In überhaupt eine Zukunft. Salem und Halima haben seit diesem Tag keine Nachricht von ihrem einzigen Kind erhalten. Seit neun Monaten warten sie nun auf ein Lebenszeichen.

Die tunesische Filmemacherin Sarra Abidi erzählt in ihrem ersten Langspielfilm von denen, die bleiben. Halima und Salem stehen stellvertretend für die vielen tausenden Familien in Tunesien, die ohne Nachricht über das Wohlergeben ihrer Söhne und Töchter sind, nicht wissen, ob ihre Verwandten in Freiheit sind oder im Gefängnis sitzen und ob sie die lebensgefährliche Passage über das Mittelmeer überhaupt überlebt haben. Wie Halima, die jede Stunde auf ihr Handy blickt, warten sie alle auf den erlösenden Anruf. Es haben sich Gruppen gebildet, die auf öffentlichen Plätzen die Fotografien der Verschollenen zeigen und die Welt um Nachricht bitten. Die Suche nach den verlorenen Kindern, dort durch Krieg und Diktatur, hier durch Migration unter dem Druck neoliberaler Wirtschaftsordnung, die jede ökonomische Perspektive im eigenen Land vernichtet. Frauen tragen in der Öffentlichkeit die Fotografien der Vermissten, die Jugend errichtet brennende Straßenblockaden und fordert Arbeitsplätze und eine Zukunft.

Das Warten auf das Lebenszeichen zerstört das Leben von Halima und Salem. Halima erkrankt unter der Sorge, kann irgendwann nichts mehr essen und erleidet einen Zusammenbruch. Angesichts des schlechten Zustands seiner Frau macht sich Salem nochmals auf die Suche nach Spuren seines Sohnes. Er beauftragt einen Anwalt, der mit den italienischen Behörden zusammenarbeitet, sucht nach Schleusern und Hintermännern im Migrationsgeschäft, in das alle involviert zu sein scheinen, nach aus Italien wieder abgeschobenen Tunesiern, die seinen Sohn gekannt haben könnten. Und findet auch unter halbverwesten Leichen ertrunkener Tunesier seinen Sohn nicht.

Statt auf Sprache setzt Sarra Abidi in ihrem Film auf Gesten, Blicke und Körpersprache. Nur so lasse sich das unermessliche Leiden der Figuren angemessen darstellen, sagt Sarra Abidi im anschließenden Filmgespräch. So sparsam die Sprache in diesem Film eingesetzt wird, so zurückhaltend und dezent ist die schöne ephemere Filmmusik. Auch wenn die dürren Dialoge und der etwas lahme Schnitt den Film zuweilen etwas schleppend geraten lassen, so generieren doch die vielen Nah- und Großaufnahmen der Gesichter eindrückliche, fast skulpturale Denkmäler des Leids. Für diesen Behelf hat Abidi mit ihren beiden Hauptdarstellern, dem Theaterschauspieler Ali Yahyaouider, vor allem aber mit der Tänzerin Sondos Belhassen, überaus ausdrucksstarke Darsteller gefunden.