26.6.2015. Noeli ist hin- und hergerissen zwischen zwei möglichen Lieben und zwischen zwei möglichen Leben. Sie liebt den gleichaltrigen jungen Mann, der ihr nur das schwierige Leben in den elenden Verhältnissen bieten kann, aus denen sie beide stammen. Und sie wird geliebt von Anne, einer Französin in ihren Siebzigern, die ihr eine abgesichterte Lebensperspektive verspricht und: Geld – Dólares de arena (Sand Dollars).
Dann ist da das Meer, die Hitze und die tropischen Regengüsse, die Bilder changieren von überblendeten Szenerien bis hin zu tableauhaften Aufnahmen. Wir gehen mit den Protagonisten an den Strand, wohnen im licht- und luftdurchflutenen modernen Holzbungalow und der einfachen dunklen Hütte, tanzen in Bars zu lauter Musik und hören dem alten Mann zu, der zu karibischen Rhythmen melancholische Verse über unmögliche Lieben singt. Noeli verkauft sich für eine Zuwendung an ältere europäische Männer, Anne sitzt auf der Veranda einer riesigen Villa im Kolonialstil und unterhält sich in ihrer – weißen – Gesellschaft im charmanten französisch-englischen Sprachmix gepflegt über das Leben und die Politik. Paradies und soziale Ausweglosigkeit Seite an Seite. Ansonsten wird nicht viel gesprochen in diesem Film über Menschen in der Dominikanischen Republik. Ein kurzer Satz mal, überwiegend herrscht Sprachlosigkeit.
In dieser Geschichte sind die Menschen gefangen in ihren emotionalen und materiellen Abhängigkeiten. Anne leidet sehr an ihrer Beziehung zu dem schönen, androgynen, schwarzen Mädchen, das sie für ihre Zuneigung bezahlen muss, sie ist sich ihrer würdelosen emotionalen Abhängigkeit schmerzlichst bewusst, ohne die Kraft zu haben, sich aus der Beziehung endgültig zu lösen. Und als Noeli nicht mehr hingehen mag, wird sie von ihrem Freund wie einem Zuhälter dazu gedrängt, sind sie doch beide von Annes Zuwendungen materiell abhängig. Dann wird Noeli schwanger. Und jetzt muss sich die junge Frau zwischen echter Liebe und materiell abgesicherter Lebensspektive für sich und für ihr ungeborenes Kind entscheiden – eine Geschichte, die schon oft erzählt worden ist, aber selten so unsentimental, realistisch und die Dinge so genau beim Namen nennend wie in Dólares de Arena. Ein in vielen Hinsichten bemerkenswerter Film, der sich langsam und behutsam seinen Figuren nähert, zuerst die Lebenslust der älteren Frau zeigt, bevor wir ihr zerfurchtes Gesicht und ihren ausgemergelten Körper zu sehen bekommen, dem Mädchen die Hoheit über ihr Handeln lässt und damit ihre Würde. Und eine Zuneinung zulässt zu dieser fragilen wie agilen Dame.
Dólares de Arena, der mittlerweile vierte Spielfilm der jungen Dominikanerin Laura Amelia Guzmán (und ihres mexikanischen Coregisseurs und Ehemanns Israel Cárdenas), ist keine klassische epische Erzählung. Vielmehr werden uns Szene für Szene Einblicke gewährt in das laufende Geschehen. Dieser abgehackte Stil erzeugt den Eindruck, echte Menschen in ihrer widersprüchlichen Geschichte zu begleiten. Außerdem schafft die Regisseurin es auf diese Weise, bemerkenswert viele (sehr schwierige) Themen wie Prostitution, soziale Verelendung, postkoloniale Gesellschaft, aber auch Einsamkeit im Alter anzusprechen, ohne dass der Film einem mit dem moralischen Zeigefinger vor der Nase herumfuchteln würde. Vieles wird durch die großartige schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen (Yanet Mojica und Geraldine Chaplin) mit minimalen Gesten lediglich angedeutet. Ein im besten Sinne authentischer Film über wirkliche Menschen in einer schwierigen und ungerechten Welt.