Der erste Tag: Kartenkauf

25.6.2015. Gerade habe ich die Weichen gestellt und die Karten gekauft. Gestern hatte ich mir in mühsamer Kleinstarbeit ein Programm zusammengestellt. Allerdings: An der Kasse stehend, die Schlange hinter mir und der Streifen mit den Tickets vor mir immer länger werdend, muss ich gestehen, dass mich meine ursprüngliche euphorische Zuversicht etwas im Stich ließ, ich würde cinephil jeden Tag von morgens bis Abends in so ’ner Art Festivalrausch meine mindestens sechs Stunden im Kino verbringen und zwischendurch schnell geniale Rezensionen in dieses Blog schreiben. Ich beschränkte mich dann nur noch auf die absoluten Highlights, die ich auf meinem A4-karierten handgeschriebenen Zettel unterstrichen hatte. In der gewünschten Vorstellung ausverkauft war als einziger Film auf der Liste (und der war nicht unterstrichen!) der neue Isabelle Coixet-Film (Learning to Drive mit Patricia Clarkson als mittelalte Fahrschülerin und einem geschminkten Ben Kingsley mit Turban als indischem Fahrlehrer – einmal Ghandi, immer Ghandi, oder was? -, das gruselige Plakat hat das Bedauern gemildert). Trotz meiner spontanen Programmreduktion und Ermäßigung (arbeitslos) habe ich fast neunzig Euros an der Kasse gelassen.

Die meisten Filme sehe ich mir alleine an, nur in zwei Vorstellungen habe ich Begleitung: Tanja kommt mit zum Biopic über Eadweard Muybridge (1830-1904), einem frühen Fotographen und Filmemacher, und Günter in den Dokumentarfilm Projekt A über alternative Lebensformen und Gemeinschaften.

Erst im Nachhinein bemerkte ich, dass der Spielfilm The Golden Era über die chinesische Schriftstellerin Hong Xiao, die bereits in den 1940er Jahren nach kurzem Leben von nur 32 Jahren verstorben ist, schlappe 178 Minuten lang ist. Ich muss gestehen, wenn ich das Programm vorher sorgfältiger gelesen und mir dies aufgefallen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich diesen Film gespart – drei Stunden chinesisch-experimenteller Film, wenn man Glück hat, mit englischen Untertiteln… Drückt mir die Daumen, dass ich durchhalte.

Das Münchner Filmfest wirbt mit großen bekannten, mich nicht besonders interessierenden Namen: mit einer Alexander Payne-Retrospektive (Sideways fand ich recht mäßig, The Descendents mit George Clooney ganz hübsch, aber weitgehend konventionell, und About Schmidt mit dem gealterten Jack Nicholson auch nicht gerade revolutionär), dann mit Andy Warhol-Filmen (kuratiert von der Eichinger-Witwe Katja – die Münchner Schickeria lässt grüßen), einer Retrospektive von Jean-Jacques Annaud (auch hier die Eichinger-Connection mit seinem von Bernd produzierten Kassenschlager Der Name der Rose). Am interessantesten sicherlich die Retrospektive von bad boy und Schwulen-Ikone Rupprecht Everest (sorry: Rupert Everett). Doch noch ein Wort zu Warhol: Wahrscheinlich sind die Filme der totale Knaller, künstlerisch wertvoll und überhaupt, manche von ihnen werden in Deutschland zum ersten Mal gezeigt und so! Auf keinen Fall verpassen!! Aber abgesehen davon, dass ich jenseits von Museumsmauern immer etwas zu bequem für Kunstfilme war, rede ich mich dieses Mal auf den München-Faktor aus. Vielleicht habe ich einfach keine Lust, mit dem hiesigen kulturbeflissenen Publikum, das überwiegend aus ergrauten und eine Aura an altersweisen Besserwisserei ausstrahlenden Best-Agern und, wenn man Glück hat, aus bebarteten hipster-Kunststudenten besteht, Männern im schlimmsten Fall dabei zuzusehen, wie sie sich einen abrödeln.

Das einfache Prinzip hinter meiner Auswahl lautet: (1) Filme, die es voraussichtlich nicht in die Kinos schaffen werden, und (2) Filme, auf die ich einfach Lust habe. In die Kategorie (2) fällt zweifelsfrei Brüggemanns Nazi-Groteske Heil, auf den ich mich wirklich sehr freue. Zu (1) gehören vor allem Filme aus dem Weltkino. Mit dieser Strategie bin ich letztes Jahr prima gefahren, in Erinnerung geblieben sind mir vor allem der tolle, formal strenge und sehr sehr lange I’m Not Him vom türkischen Filmemacher Tayfun Pirselimoglu, Run aus der Cote d’Ivoire und der großartige Es-Stouh – Les Terrasses des Algeriers Merzak Allouache. Etwas irritierend finde ich, dass auch dieses Jahr auf dem Festival wieder eine Reihe von Filmen laufen, die eh in diesen Wochen anlaufen (etwa Noah Baumbachs While We’re Young, die norwegische Groteske Men & Chicken von Anders Thomas Jensen, Escobar: Paradise Lost mit Benicio Del Toro und Loin des hommes mit Viggo Mortensen). Das ist wohl dem Motto des FFM geschuldet, die besten Filme des Sommers zu zeigen. Naja.

Gleich geht es los mit Dolares de Arena (der internationale Titel lautet: Sand Dollars), einem Film aus der Dominikanischen Republik über eine lesbische Beziehungsgeschichte zwischen einer älteren reichen europäischen Frau (Geraldine Chaplin in einer bemerkenswert ungewöhnlichen Rolle) und einer jüngeren Einheimischen zwischen Kolonialismus, Sextourismus und gegenseitigen Abhängigkeiten. Ich bin ja mal gespannt!!!!

Morgen dann am Nachmittag Theeb, ein jordanisches Wüstenabenteuer, das in der Zeit des europäischen Zweiten Weltkriegs spielt, und in der Spätvorstellung (nach dem Abendessen bei Freunden) gibt dann mein beloved Willam Dafoe für mich den Pasolini am letzten Tag seines Lebens.