27.6.2015. Mit ausgetrocknetem Mund und ins gleißende Licht blinzelnd stolpere ich die Treppen herauf, die mich aus der Welt der Wüste in den sonnigen Nachmittag in München Schwabing entlassen. Was für ein Film! Etwas belämmert stehe ich am Rad und muss mich konzentrieren, um herauszufinden, wie das noch mal funktionierte, das mit dem Aufsperren und so. Einhundert Minuten lang fieberte ich gerade in einem spannenden westernartigen Abenteuerfilm mit dem Beduinenjungen Theeb mit – vor der großartigen Kulisse der jordanischen Wüste.
Kino pur, großartige Landschaftsaufnahmen, unbedingt im Kino, unbedingt auf richtig großer Leinwand ansehen. Nur wenige Minuten dieses ruhig gedrehten und bedächtig geschnittenen Films reichen, um in mir jenes rare, zufriedene, an Glück heranreichende Gefühl auszulösen, in schönen Bildern zu baden, den Wunsch, der Film möge bitte ganz lange nicht aufhören.
Es geht um die Welt der Beduinen, kurz bevor ihre ursprüngliche Kultur mit der Bildung nationalstaatlicher Grenzen zerstört und viele Angehörige dieser Nomadenvölker brutal massakriert wurden. Zusammen mit Theeb (großartig: Jacir Eid), dem vielleicht zehnjährigen Beduinenjungen – der ganze Film ist konsequent aus seiner Perspektive erzählt -, tauchen wir in diese untergegangene Welt ein. Doch auf Theebs Reise wird deutlich, wie sehr diese Welt bereits im Untergang begriffen ist, die alten und heeren Gesetze der Bruderschaft gelten nicht mehr, die Wüste wird mit der Eisenbahn erschlossen und Stationen mit der Verwaltung des osmanischen Staates in die Wüste gepflanzt.
In Europa wütet der Erste Weltkrieg und erreicht in Gestalt eines jungen britischen Soldaten auch die Welt von Theebs Stamm und erbittet Hilfe bei einer Reise. Als der Engländer unter Führung von Hussein, Theebs geliebtem älteren Bruder aufbrechen, schließt sich der Junge ihnen heimlich an.
Es ist nicht ganz treffend, Theeb als Abenteuerfilm zu bezeichnen, schon eher trifft das Label Western, es gibt Überfälle, wilde Schießereien und eine Rache. Es gibt zwar nur wenige Pferde, dafür aber ganz viele Kamele, die komische Geräusche machen und die die Kamera irgendwie immer mit ins Bild bekommt, sie kauen, schneiden Grimassen und zeigen ihre ziemlich bedrohlichen Zähne. Für Kamelfreunde ist dieser Film ein absolutes Muss.
Für die auf 16-mm-Film gebannten Bilder verantwortlich ist der Österreicher Wolfgang Thaler, der bereits mit Michael Glawogger zusammengearbeitet sowie mit Ulrich Seidl etwa die Paradies-Trilogie gedreht hatte. Der adrette – junge, Jg. 1981! – jordanische Filmemacher Naji Abu Nowar erklärte im Anschluss an die Aufführung, wie es zu dieser jordanisch-österreichischen Kooperation gekommen ist: Thaler sei einer der wenigen Kameraleute auf der Welt, der die schwierigen Dreharbeiten packen konnte. Er selbst habe vorher noch nie eine Kamera in der Hand gehalten und sei völlig auf die Professionalität des Kameramannes angewiesen gewesen, auf jemanden, der in den schwierigen Bedingungen der Wüste und auf Film drehen kann und sowohl Erfahrung mit Laienschauspielern als auch Respekt vor anderen Kulturen hat.
Theeb ist eine beeindruckende low budget-Produktion und die jahrelange und mühselige Entstehungsgeschichte des Films spiegelt die schwierigen Produktionsbedingungen in Jordanien wider. Die konkreten Vorarbeiten erinnern mehr an eine ethnographische Studie denn an Recherchen für einen Film. Naji Abu Nowar lebte ein Jahr in der jordanischen Wüste im Wadi Rum bei einem der letzten, mittlerweile freilich unter Zwang sesshaft gewordenen Nomadenvölker. Die gesamte Ausstattung des Films wurde von den Beduinen mit ihrem sich im Vergessen befindlichen Wissen selbst hergestellt, die Darsteller in einem langwierigen Prozess unter den Leuten gecastet.
Theeb ist ein fulminantes Spielfilmdebüt, das auf seiner Europapremiere auf der Mostra in Venedig direkt den Preis für die beste Regie erhalten und auf dem arabischen Filmfestival in Abu Dhabi als bester Film ausgezeichnet wurde. Die heutige Vorstellung war die Deutschlandpremiere. Es gab viel Applaus im gut besuchten großen Saal und eine Menge Publikumsfragen.
Es war sehr schön!