In ihrem Erstlingsfilm (Weltpremiere auf dem IFFR 2019) geht die junge chilenische Filmemacherin Karin Cuyul (Jg. 1988) auf dokumentarische Spurensuche nach ihrem Namen, die tief in die Geschichte ihrer Familie eindringt. Sie wurde benannt nach Karin Eitel, die im Untergrund gegen die Pinochet-Diktatur gekämpft hatte, 1987 verhaftet und dann im staatlichen Fernsehen live unter Folter zu einem Geständnis gezwungen worden war. Eine innere Unruhe hatte die Macherin von Historia de mi nombre Karin Cuyul dazu veranlasst, filmisch dem Bild nachzuforschen, das die Eltern jener Karin Eitel später bei einer Begegnung von ihr gemacht hatten. Sie legt ihrer Recherche strenge Regeln auf: Sie möchte im Film nur Fragen stellen, die sich mit filmischen Mitteln beantworten lassen. Außerdem beschäftigt sie sich mit der Geschichte ihres Namens nur soweit es sie auch selbst betrifft. Ein radikaler Ansatz, der in bildlicher sowie narrativer Hinsicht eine Ästhetik der Behutsamkeit und des unbedingten Wahrheitsstrebens mündet, zugleich aber im Impliziten, Vorsichtigen und in der Andeutung verharrt.
Bebildert ist dies mit einer Art Re-Enactment der verschiedenen Stationen und Umzüge ihres Lebens, gefilmt aus der Sicherheit des Inneren eines Fahrzeugs. Das ergibt schöne, mittelbare Aufnahmen von Chile durch die Fensterscheibe, Metaphern für eine Kindheit in einer postdiktatorischen Gesellschaft: ausladene Landschaften, alltägliche Straßenszenen, die Ödnis aufgegebener und zerfallener Dörfer. Zu diesen neugedrehten Bildern kommen Archivmaterial und Aufnahmen, die Cuyul nach einem Aufruf auf Facebook von vielen Chilenen zur Verfügung gestellt bekommt. Die Historia de mi nombre zahlt für ihr Authentizitätsstreben einen (nach meiner Meinung: zu) hohen Preis: Im Unterschied zu den aktuellen Aufnahmen durch das Fahrzeugfenster sind die Archivbilder von derart schlechter Qualität und die historischen Amateuraufnahmen zudem so stark verwackelt, dass man teilweise kaum mehr etwas erkennen kann.
Wie sich erst im Laufe der Arbeit am Film herausstellt, steht im Hintergrund der Historia de mi nombre die politische Rolle, die die Eltern während der Diktatur im Untergrund gespielt und ihrer Tochter verheimlicht haben. Obwohl dieses nun aufgedeckte Familiengeheimnis im Grunde den Fluchtpunkt des Films darstellt – die Entsprechung zum seltsamen Gefühl, das am Anfang des Projekts stand und die eigentliche Motivation für den Film war -, respektiert Cuyul den Wunsch der Eltern und stellt dieses Thema ebensowenig in den Mittelpunkt des Films wie die Person Karin Eitels. Und so bleibt Vieles zwangsläufig vage und letztlich unausgesprochen, und entsteht eine ungeheure Spannung, die dem Film die ganze Zeit unterliegt. Karin Cuyul bringt es im Anschluss an die Vorführung in den Q & As auf den Punkt: Erst durch das Drehen von Historia de mi nombre wurde ihr klar, unter welcher ungeheuren Angst ihre Eltern immer schon und noch immer lebten. Historia de mi nombre ist ein subtiles Porträt Chiles wenige Jahrzehnte nach der grausamen Diktatur, ein Land, in dem die jüngere, in der Demokratie geborene Generation Vieles noch nicht offen ausspricht und in verschlierten Bildern darstellt.