Film kann so viel mehr sein als einfach ’nur‘ Spiel- oder Dokumentarfilm. Das ist das erste, was mir nach wenigen Minuten von Si c’était de l’amour in den Sinn kommt. Das, was da auf der Leinwand zu sehen ist, ist keine reine Dokumentation der Rave-Tanzperformance „Crowd“ von Gisèle Viennes; vielmehr setzt sich Patric Chiha mit filmischen Mitteln mit Tanz, den Tänzerinnen und Tänzern, mit den darstellten und dahinterliegenden Stories des Stücks, mit der Choreographie und der eigentlichen Show auseinander.
Die Handlung der Performance: ein Rave in den 1990ern, es wird getanzt, Techno, in slow motion. Allein, paarweise, in Gruppen, einander zu- und abgewandt. Ein äußerst komplexes soziales Gefüge und Verhalten. Den Tanz sehen wir in der Szenerie der abschließenden „Show“, die Darstellerinnen und Darsteller in Kostümen, es gibt ein Szenenbild mit Matsche auf dem Boden, die dröhnende Musik.
Die gleichen Szenen erleben wir dann parallel dazu auf der Probebühne, die Tänzerinnen und Tänzer stecken in ihren Trainingsklamotten, die Musik ist ein Geräusch im Hintergrund. Das direkte Tanzgeschehen verlassen wir in dem Moment, da die Choreographin in Erscheinung tritt. Sie kommentiert, sie gibt Anweisungen, die Tänzerinnen bekommen Namen, wenn sie sie aufmundernd anspricht oder korrigiert, den Rhythmus vorgibt. Die Erarbeitung der Choreographie mit den Tänzerinnen und Tänzern enthüllt die Grundideen: Reflexion von Tanz durch Tanz auf der Grundlage einer archäologisch anmutenden Analyse der tänzerischen Bewegung und Form – und damit verbunden das Nachdenken über die durch Bewegung ausgedrückten Emotionen und Gedanken. Denn eng verwoben mit der Anatomie der tänzerischen Bewegung ist die Untersuchung des Emotionalen und der physisch-erotischen Annäherung: Es geht um Berührung und Sehnsucht, um das “Schmecken” von Haut, um Wärme und die Textur von körperlicher Oberfläche, aber auch um die Bewegung von Körpern zueinander, um das Verhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft, um Nähe und Ferne und um das Überschreiten von Grenzen.
Zu den beiden Ebenen fertige Tanzperformance einerseits und Arbeit der Choreographin mit den Tänzerinnen und Tänzern sowie der Entwicklung einer tänzerischen Sprache anderseits kommt eine dritte Ebene hinzu. Das Geschehen „hinter den Kulissen“, die sozialen Beziehungen zwischen den Tänzern und Tänzerinnen, die miteinander ihre Rollen besprechen, wobei endgültig die Inszeniertheit der doch nur auf den ersten Blick dokumentarischen Form des Films offenbar wird. Si c’était de l’amour ist eben weit mehr als eine Dokumentation einer Tanzperformance, der Film wird selbst ein Stück Kunst. Darstellende und Rolle verschwimmen, das Geschehen „hinter den Kulissen“ wird Teil des Films. Identifizieren sich die Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Figuren soweit, dass die Stimmungen und Gefühle, die Freude, das Leid, die Tränen authentisch werden? Wenn es denn Liebe wäre. Oder ist es Liebe? Die Präzisionen in der Choreographie von Gisèle Viennes, die Verlangsamungen in den slow motions, die Geschwindigkeitswechsel, Brüche und Überlappungen vor dem Hintergrund der treibenden Beats ziehen mich in eine sensuelle Welt, die der Film in warmen, zugewandten, empatischen Bildern einfängt. Dieser Film ist ein Experiment, das voll aufgeht. Und das Publikum verlässt beglückt, voller wunderbarer Bilder von Bewegung, von Körpern, treibenen Beats und emotionalen Zuständen den Kinosaal.