Le Bleu du Caftan

Im Anschluss gibt es Le Bleu du Caftan, einen ruhigen marokkanischen Film von Maryam Touzani. Halim (Saleh Bakri) und seine Frau Mina (Lubna Azabal) betreiben eine traditionelle Kaftan-Schneiderei in der Altstadt von Salé. Es geht um versteckte Homosexualität, um ein aussterbendes Handwerk und um verschiedene Spielarten der Liebe zwischen dem sich innig zugetanen Ehepaar und dem jungen Lehrling Youssef (Ayoub Missioui). Das Q & A nutzt Maryam Touzani nach dem Film für ein überschwängliches Plädoyer für die Rechte von sexuellen Minderheiten im Maghreb und erntet dafür begeisterten Applaus des geneigten Publikums, was die gefühlige Art des Films stimmig rahmt.

Vanskabte Land – Volaða Land – Godland

Ich starte im großen Saal des Theater Rotterdam Schouwburg mit dem dänisch-isländischen  Vanskabte Land – Volaða Land – Godland von Hlynur Pálmason. Damit beginnt das Festival für mich mit einem Riesenknaller: mit einem 143 Minuten langen wunderbaren Island-Epos, das im 19. Jahrhundert spielt und von einer Expedition durch das Land handelt und darum, wie diese gefährliche Reise alle grundlegend verändert. Und von noch sehr viel mehr. Ein bildgewaltiger und dichter Film!

Der junge dänische lutheranische Priester Lucas tritt mit widerwilligen Isländern den Weg zu einem entlegenen Ort an, um dort eine Kapelle zu errichten. Auf isländischen Ponys geht es bei Regen und Schnee durch Flüsse und über Berge, auf eine Reise mit inneren und äußeren Konflikten zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten. Großartig, episch, wunderschön.

ber20 – der vierte tag

Ich sehe den isländischen Last and First Men, einen in bester Hinsicht strengen Film. Es gibt Bild – schwarz-weiß- Aufnahmen von brutalistischer Kriegsdenkmalarchitektur im ehemaligen Jugoslawien –, es gibt Ton – die sphärische Musik des isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson, der auch Regie geführt hat – und es gibt Text – die Stimme Tilda Swindons liest aus dem dystopischen Science fiction-Klassiker von Olaf Stapledon. Das wars. Alles weitere findet im Kopf des Zuschauers statt. Einfach wunderbar.

Am Abend gehe ich in die Woche der Kritik. Das Konzept: Ein Kurzfilm, dann ein langes Format. Im Anschluss diskutieren zwei Kritiker über die Filme. „The point ist to remove the films from authorship.“ Zunächst also Cães que ladram aos pássaros – Dogs barking at birds der jungen Portugiesin (Jahrgang 1992) und aus dem Dokumentarfilm stammenden Leonor Teles. Lief auf der Mostra in Venedig und war Finalist um den European Film Award in der Kategorie Kurzfilm. Mit dem jungen schönen Vicente Gil (er selbst) streife ich zwanzig Minuten durch sein Leben in Lissabon einschließlich Nachtleben, Strand, prekären Lebensverhältnissen und Gentifizierung. Vergeblich warte ich auf einen besonderen Moment oder einen eigenen Zauber, sodass am Ende das dokumentarische Moment über einen durchschnittlichen – vielleicht sogar ein bisschen banalen – jungen Menschen in einer europäischen Großstadt überwiegt.

Im Anschluss Pansori Boxer – My punch-drunk boxer, eine trashig-bonbonfarbene Martial Arts-Verarsche, die ihre Längen hat, nicht ganz genrefest ist und in der für meinen Geschmack entschieden zu wenig gekämpft wird. Doch am Ende geht mir der zwischenzeitlich leichthändige Erstling des Südkoreaners Jung Hyuk-ki noch richtig ans Herz.

seishin o – zero

© Laboratory X, Inc.

Die Kamera blickt in einen kleinen Raum. Am Schreibtisch in der Ecke sitzt der Psychiater, davor der Patient, ein vielleicht dreißigjähriger Mann, dessen Mutter  an der Tür stehenbleibt. Der Patient erzählt, der Psychiater nickt, schließt immer wieder länger die Augen. Es geht um Wünsche. Der Arzt schlägt vor, sich an einem Tag der Woche „auf Null zu setzen“, sich dem Erleben und Befriedigen von Begehren und Wünschen zu entziehen und lediglich zu spüren, dass man lebt. Sich auf Null setzen und versuchen, das eigene Leben zu empfinden, froh zu sein, dass man am Leben ist. „seishin o – zero“ weiterlesen

si c’était de l’amour

Film kann so viel mehr sein als einfach ’nur‘ Spiel- oder Dokumentarfilm. Das ist das erste, was mir nach wenigen Minuten von Si c’était de l’amour in den Sinn kommt. Das, was da auf der Leinwand zu sehen ist, ist keine reine Dokumentation der Rave-Tanzperformance „Crowd“ von Gisèle Viennes; vielmehr setzt sich Patric Chiha mit filmischen Mitteln mit Tanz, den Tänzerinnen und Tänzern, mit den darstellten und dahinterliegenden Stories des Stücks, mit der Choreographie und der eigentlichen Show auseinander.

Die Handlung der Performance: ein Rave in den 1990ern, es wird getanzt, Techno, in slow motion. Allein, paarweise, in Gruppen, einander zu- und abgewandt. Ein äußerst komplexes soziales Gefüge und Verhalten. Den Tanz sehen wir in der Szenerie der abschließenden „Show“, die Darstellerinnen und Darsteller in Kostümen, es gibt ein Szenenbild mit Matsche auf dem Boden, die dröhnende Musik. „si c’était de l’amour“ weiterlesen