Une jeunesse dorée – das ist Kino, das aus dem Vollen schöpft. Ein opulentes Bilderwerk, das beim Zusehen viel Spaß macht. Das Setting: Ende der 70er Jahre, die französische queere Discoszene, Hauptspot: der legendäre „Le Palace“, der angesagteste Club von Paris. Auch wenn die Story manchmal etwas stockt, treibt einen die Musik durch den Film. Die Figuren sind von Alkohol und Drogen aufgepuscht, drehen immer weiter auf, die Emotionen schrauben sich immer höher. Wir sind im „Le Palace“, wir sind in einem prächtigen Anwesen auf dem Land, wir sind in einer riesigen Altbauwohnung, am Pult legt ein afroamerikanischer DJ auf und tanzt, alle Figuren sind exaltiert und aufgedresst und jung und schön.
Die Geschichte kreist um die Liebe. Hier das junge Paar, das sich absolute Liebe schwört, dort das alte Paar, was nach Liebe giert und die Jungen verführt, kauft, manipuliert. Es kommt zu einem – im Verhältnis zum Rest des Film überraschend zurückhaltend inszenierten – ménage à quatres. Und am Ende zum unweigerlichen Bruch.
Als sich in den das Screening anschließenden Q&A herausstellt, dass die Regisserin Eva Ionesco nach ihrem Erstling My little princess (2011) auch in Une jeunesse dorée einen Abschnitt ihres Lebens (als zweiten Teil einer geplanten Trilogie) verarbeitete, verändert dies die Wahrnehmung des Films: Zum einen verleiht das der überdrehten Atmosphäre und dem gekünstelten Spiel der Akteure seltsamerweise eine hohe Authentizität, zum anderen verschiebt sich der Fokus vom ménage à quatres zur Erzählung über die Selbstbefreiung einer jungen Frau.
Vieles an diesem Film ist unausgegoren und nicht besonders geglückt. Der von mir hochgeschätzte MELVIL POUPAUD bleibt als reicher bisexueller Wüstling viel zu harmlos und ISABELLE HUPPERT geradezu holzschnittartig – und warum muss eigentlich die heute sechsunsechzigjährige Schauspielerin eine höchstens Vierzigjährige spielen? LUKAS IONESCO (Sohn der Ionesco) bekommt zu wenig Text, als dass er außer schön kucken eine echte Figur aus seinem Michel entwickeln könnte. Schauspielerisch interessant ist einzig GALATÉA BELLUGI (gesehen in L’Apparition von Xavier Giannoli an der Seite von VINCENT LINDON) als Rose, dem alter ego der Ionesco, wenngleich sie sich etwas arg oft mit großem süßen roten Schmollmund im Bild windet. Nur am Rande sei noch erwähnt, dass wir in einer Nebenrolle einen zweiten Sohn sehen, nämlich: ALAIN-FABIEN DELON, der seinem Vater derart ähnlich sieht, dass Eva Ionesco vielleicht deswegen vergessen hat, dieser Figur einen eigenen Charakter zu geben, jedenfalls fühlt man sich allein aufgrund seiner Gesichtszüge unweigerlich in die 1970er Jahre zurückversetzt.
Und was juckt mich eigentlich das verpfuschte Leben einer verdorbenen, aber im Grunde doch privilegierten Künstlertochter? Trotzdem mochte ich den Film: wegen seiner Opulenz, seiner Dekadenz, seiner Künstlichkeit und seiner Rauschhaftigkeit. Vor allem für Kostüm- und Maskenbild ein Fest, war die damalige „Le Palace“-Szene doch stark von den Pariser Haute Couturiers frequentiert, die dort die im Film angedeuteten legendären Mottoparties feierten. Der Film setzt auf eine übersatte Bilderflut (die Cinematografie stammt von der berühmten AGNÈS GODARD), die immer wieder in wohlkomponierte Tableaus gerinnt – und gewinnt: Une jeunesse dorée fängt die Stimmung der Zeit ein, einer Zeit der Promiskuität, der Exaltiertheit, des Hedonismus und des anything goes – der letzten Zeit des Leichtsinns kurz vor dem Ausbruch von Aids.