Sehe abends die Weltpremiere von Moc – Power, den zweiten Film von Mátyás Prikler, einen Politthriller über den slowakischen Geheimdienst, der vertuschen soll, dass ein hochrangiger Minister auf einer Jagd aus Versehen einen unschuldigen Jungen erschossen hat. Im Mittelpunkt steht der Geheimdienstagent Steiner (Szabolcz Hajdu), der den Vorfall untersucht und damit beauftragt wird, einen passenden Sündenbock für den Mord zu finden und gefügig zu machen. Die Figur von Steiner wird mit einer unheilbaren Krankheit im finalen Stadium ausgestattet, und so mit der nötigen Abgefucktheit, um den Job ohne größere Skrupel zu erledigen und daraus qua kleiner Erpressung eigenen Profit zu schlagen, die Frau samt Sohn und ungeborenem Kind zu Gute kommen sollen. Er ist es auch, der den Minister Berger davon überzeugt, die Verantwortung für diesen Unfall abzuwälzen, um weiter für das höhere Gut kämpfen zu können, nämlich das, was er in der Politik erreichen kann.
Berger gehört zu jenen Intellektuellen, die nach ihrer Emigration nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in ihre Länder zurückgekehrt und teilweise (als integre Akteure hochwillkommen) in die Politik gegangen sind. Er ist ein Vordenker der Umwelt-, Menschenrechts- und Wasserrechtebewegung. Wunderbar, wie der mittlerweile 86-jährige Jan Kačer den von moralischen Skrupeln geplagten Berger spielt, von Schuld niedergedrückt, unentrinnbar in den Fängen der Politik verfangen, von allen Seiten unter Druck gesetzt wird … und sich schließlich der ureigenen politischen Handlungslogik ergibt. Niemals in seinem Leben habe er sich so machtlos gefühlt, wie jetzt, da er in seiner Position so viel faktische politische Macht besitzt, sagt die Figur an einer Stelle im Film.
Vergleichsweise unbelichtet bleibt hingegen die in diesem Politspiel unabhängige (junge und schöne) Journalistin (Lucia Kašová). Sie weiß zwar, was gespielt wird, kann aber nichts beweisen. Im Grunde versandet dieser Handlungsstrang einfach. Sie ist die Einzige in dieser Dreierkonstellation zwischen Politik, Geheimdienst und Presse, die als Figur keine Familie oder sonstige Backgroundstory bekommt, und muss seltsamerweise in der Badewanne sitzen, als sie sich die Fernsehnachrichten auf ihrem Handy ansieht.
Während also die drohende Enthüllung der Affaire durch die Presse niedrig gehalten wird, verlässt der Film sein Genre, wenn den Angehörigen des getöteten Jungen relativ großer Raum eingeräumt wird. Ihre Trauer und ihr verzweifelter Wunsch nach Wahrheit über den Unfall emotionalisieren die Geschichte allerdings unnötig.
Dabei ist die Message von Moc – Power klar: Wer sich mit der Macht gemein macht, der verlässt den Pfad der klaren Unterscheidung zwischen Gut und Böse, von Schwarz und Weiß, es geht darum, was politisch erreicht werden kann, darin liegt jetzt die Verantwortung des Handelns, whatever the means, und erst recht jenseits von persönlichen Maßstäben moralisch gutem Handeln. Spannend ist, dass es ausgerechnet der Geheimdienstagent Steiner ist, der den Politiker Berger davon überzeugt, die Sache zu vertuschen, auch weil er bei ihm studiert hat und seine Überzeugungen kennt und auch – zumindest in der Vergangenheit – geteilt hat.
Das Kameraauge (Cinematografie: Gergely Pálos) führt ruhig und beobachtend durch das Geschehen, die Bilder sind streng komponiert, mehrmals blicken wir durch Fenster oder von oben auf das Geschehen. Es transportiert eine Stimmung von Unausweichlichkeit, Desillusion und Machtlosigkeit, was durch die strenge Noir-Optik mit ausgeklügeltem schwarzweiß-braun-Farbkonzept noch untermalt wird. Auch wenn die Geschichte fokussierter hätte erzählt werden können, ist die Gestaltung des Films stringent und wohlkomponiert.
Bemerkenswert ist Moc – Power schließlich wegen der hohen moralischen Kredibilität seiner Macher. Hier haben sich SchauspielerInnen und FilmemacherInnen versammelt, die in der Vergangenheit den politischen Aufklärungsjournalismus in der Slowakei durch Dokumentarfilme über die Machenschaften der hohen Politik unterstützt haben. Wohltuend auch das Sprachenkonzept des Films, das die Realitäten Mittelosteuropas und der Slowakei spiegelt: Die meisten Figuren switchen zwischen Ungarisch und Slowakisch hin und her, wir bekommen es mit einem sehr unangenehmen Wasserlobbyrepräsentanten zu tun, der Englisch in (für das deutsche Ohr) parodiereifem Wiener Singsang spricht – und der Minister Berger spricht Tschechisch.
Die ruhige Machart von Moc – Power gefällt mir sehr, nur wenige trauen sich, einen Politthriller so langsam zu erzählen. Woher die Produzentin in den Q & As ihren Optimismus nimmt, dass es durchaus dennoch Grund für Hoffnung gebe, ist mir allerdings schleierhaft.