Chris Kraus: Die Blumen von gestern

An die Leserin und den Leser: Wer vor hat, diese ‚Tragikomödie‘ noch zu sehen und sich lieber ein eigenes Urteil bildet: Die Blumen von gestern kommen nächstes Jahr ins Kino. Hier hingegen folgt ein erboster Verriss, der auch Pointen verrät!

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quelle: hofer filmtage

Warum? Weil es unverzeihlich ist. Es gibt Wendungen in Geschichten, die sind irgendwie blöde oder unpassend, aber verzeihlich. Wenn aber ein impotenter Holocaust-Täter-Enkel von einer Holocaust-Opfer-Enkelin von seinem sexuellen Unvermögen erlöst und dies noch dazu von Anfang an absehbar ist – dabei hofft der Zuschauer noch verkniffen, nein, das kann einfach nicht sein, bitte, lass das nicht passieren, bitte!, neinneinneinnein… und es natürlich doch passiert -, ist das einfach unverzeihlich. Und dann wird bei diesem alles erlösenden Geschlechtsverkehr auch noch ein Kind gezeugt – die Frucht der Versöhnung -, was die Liebenden bereits am Folgetag wissen, weil sie den Eisprung hören (!), aber das nur als Nebennotiz.

Dabei verfolgt Chris Kraus wohl ein heeres Anliegen:  Geht es bei allem Klamauk doch um von der Nazizeit angerichtete verheerende seelische Zerrüttungen auch noch drei Generationen später. Hier der vor Schuld versteinerte Täter-Nachfahre mit beträchtlichem Aggressionspotenzial (Lars Eidinger als Totila Blume), dort die übertherapierte und durchgedrehte Opfer-Nachfahrin mit starker Selbstverletzungstendenz (Adèle Hanael als Zazie ). Das Ganze stellt Kraus vor den Hintergrund des schon lange ins Moralinsaure gestockten deutschen Vergangenheitsbewältigungsüberbaus. Kraus meint der dem Thema zwangsläufig drohenden Moralfalle mit Überzeichnung und Satire entkommen zu können – und macht die beiden Figuren kurzerhand zu überspannten Holocaust-Forschern.

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Die Holocaustforschung durch den Kakao zu ziehen, gelingt Kraus aber leider nicht besonders gut. Ein Institut für Holocaust-Studies zur Spielwiese von Wissenschaftlerkarikaturen zu machen, ist riskant, vor allem wenn diese Karikaturen nicht sonderlich originell ausfallen: Jan Josef Liefers gibt wenig inspiriert den bigotten Karrieristen Baltharsar, der sich weniger für Auschwitz als für Sponsoring und Selbstdarstellung interessiert, dem direkt zu Anfang vom Film vom überengagierten Totila Blume dafür ordentlich die Fresse poliert wird. Klamauk und Brechstangenhumor ist nicht unbedingt gleich gelungene Satire, und anstatt diese ganze Vergangenheitsbeschäftigung mal anders, sprich unverkrampft, tabulos und vielleicht sogar mit leichter Hand anzugehen, tapst der Film von Schenkelklopfer zu Schenkelklopfer über trottelige Forscher und ihre beschränkte Weltfremdheit.

Den Film noch unerträglicher macht das Overacting von Lars Eidinger. Da hatte die Regie ihren Darsteller und dessen Ego nicht im Griff. Bedauerlicherweise lässt Eidinger in diesem Film über weite Strecken sein subtiles und differenziertes Spiel vermissen, statt dessen müssen wir grobe Poltereien, Vulgärsprache und körperlich ausagierte Aggressionen ertragen. Wie gut es dem Film getan hätte, wenn diese Figur feiner und gebrochener angelegt und gespielt worden wäre! Den weiblichen Gegenpart der quaseligen und gestörten französischen Jüdin Zazie (man fühlt sich natürlich sofort an die  gleichnamige Figur der frechen Rotzgöre in Louis Malles‘ Queneau-Verfilmung Zazie dans le métro erinnert) spielt Adèle Hanael und bleibt dabei blass. Was nicht an mangelnden schauspielerischen Fähigkeiten von Hanael liegt, sondern an der fehlenden Stringenz des Charakters, der im Laufe des Films von der nervtötenden Exzentrikerin, die schon mal einen Mops aus dem fahrenden Auto wirft, zur verständnisvollen Geliebtenfigur mutiert. Die obligatorischen Französinnen-Klischees sind auch schnell gefunden: Sexuell sowohl in Sprache als auch Physis unverkrampft von mädchenhaft-burschikoser Gestalt mit schnuckeliger grüner Brille und Schmollmund. Klar redet sie zu viel und schnell, und sie kann Jiu Jitsu. Schön nervig ist sie eigentlich nur am Anfang des Films, dann wird sie – trotz eines zwischenzeitlichen Suizidversuchs – immer mehr zur klugen, mütterlichen, weltgewandten und selbstlosen Überfrau, die am Ende ihre eigene Liebe dem beruflichen und familiären Wohlergehen des Geliebten opfert. Und lesbisch wird. Noch Fragen? Auch die Figur des Totila durchläuft eine unglaubwürdige Entwicklung: Die verknöcherte Absenz jeglichen Sinns für Humor und Sinnesgenuss beim Holocaust-Forscher (damit es auch der letzte Zuschauer mitbekommt, muss die Figur den Satz „Ich bin Holocaust-Forscher. Ich besitze keinen Humor“ mehrmals sagen) weicht in dem Moment erster echter Lebensfreude, als er in Wien auf dem Tandem über eine Wiese fährt. Mal ehrlich: Welcher halbwegs anständige Misanthrop würde sich im Leben auf ein Tandem setzen?

Das Lachen über den Holocaust eine heikle Sache. Nicht, dass man das nicht machen könnte, aber es erfordert Stil- und Stimmungssicherheit. Chris Kraus trifft einfach nicht den richtigen Ton, schlägt zu viele Saiten an und patzt bei der Zusammenführung. Die krude Mischung von Brachialhumor und abgedroschenem Kitsch, die wir in Die Blumen von gestern vorgeführt bekommen, funktioniert einfach nicht.