Die Geschichte von Dobra žena (A Good Wife) ist im Grunde schnell geschildert: Milena, eine fünfzigjährige gutsituierte Ehefrau im Serbien von heute entdeckt beim Putzen ein Video, das die Kriegsverbrechen ihres Mannes dokumentiert. Zur gleichen Zeit bekommt sie eine Brustkrebsdiagnose. Am Ende des Films stellt sie sich der Krebsbehandlung und übergibt das Video einer öffentlichen Stelle.
Das ist heavy stuff. Doch die Regisseurin und Hauptdarstellerin Mirjana Karanović macht in diesem Film über die Dobra žena viel mehr, als nur eine etwas schwer verdauliche Geschichte unsentimental und geradlinig zu erzählen. Sie benutzt den Brustkrebs als Körpermetapher dafür, was es bedeutet, sich den Gräueltaten und vielleicht dem Krieg als solchem zu stellen. Das ist riskiert – und es gelingt. Es geht um eine Frau, die vor allem eines wollte: Dass am Ende alles in Ordnung kommt. Der zwangsläufige Verlust der heilen Welt, einer ganzen Weltsicht, des Vertrauens in die Umwelt, die Aufgabe des langjährigen verlässlichen Partners (ein großartiger Boris Isaković als Vlada), verbildlicht durch die Amputation eines nah am Herzen liegenden Organs, eines ganz zentralen sexuellen Körperteils, der ureigenen Identität.
Karanović wählt eine konsequente Frauenperspektive und benutzt sie als analytisches Werkzeug für die Kritik an Krieg und institutioneller Gewalt. Kritik an der durch und durch patriarchalen Gesellschaft, des damaligen Jugoslawien, des heutigen Serbiens. Homophobie, häusliche Gewalt, verbale Gewalt, Verbrechen im Krieg – und die Frauen, die durch ihre Rolle in der Familie das System stabilisieren und grundlegend mittragen. Die Frauenperspektive ist Karanović dabei nicht nur Werkzeug für Analyse, sondern die Frauen sind es auch, die die Richtung für den Ausweg weisen: Als Nebenfiguren sehen wir die Witwe des ehemaligen Kommandanten, jahrelang von ihm misshandelt, die nach seinem Tod die Firma übernimmt. Es ist die Journalistin, die sich in diesem gesellschaftlichen Klima mit viel Mut traut, für eine konsequente Aufklärung der Kriegsverbrechen zu kämpfen und die Auslieferung der Verantwortlichen an Den Haag zu fordern. Es ist Milenas Tochter, die ihren eigenen Weg als Menschenrechtlerin geht, vom Vater verstoßen und von der Presse als Lesbe diffamiert wird. Und es ist Milena selbst, die etwa 50jährige Hausfrau, die Dobra žena, die weiß, dass sie mit der Herausgabe des Videomaterials ihre Vorstadtidylle und ihr gesamtes bisheriges Leben zerstört.
Mirjana Karanović lässt uns in ihrem Spielfilmdebüt die Welt durch ihr genaues Auge betrachten, sie verfügt über einen geradezu sezierenden Blick auf alltägliche Dinge, Gesten und Handlungsweisen. Wie der eheliche Beischlaf vollzogen wird, wie Milena als Mutter ihre erwachsenen Kinder begluckt. Die Beobachtung ist schonungslos präzise, belässt dabei den Figuren immer ihre Würde und gestattet es dem Zuschauer dadurch nicht, sich von den Figuren zu distanzieren.
Als Schauspielerin ist Mirjana Karanović, die schon für Kustorica vor der Kamera stand und in Grbavica (Esmas Geheimnis) – Goldene Bär 2006 – eine Offenbarung, und auch dieser Film ist ihre Verkörperung dieser Frau im mittleren Alter zwischen Hausfrauendasein und Selbstbehauptung so zurückgenommen wie ausdrucksstark, nie hat man hier das Gefühl, bei diesem zurückhaltenden Charakter einer schwachen Persönlichkeit zu begegnen, im Gegenteil verleiht Karanović ihrer Milena ohne viele Worte, mehr durch Haltung und minimalistischer Mimik eine emotionale und moralische Tiefe und zeigt uns einen komplexen Charakter.
Mirjana Karanović war nach dem Krieg die erste serbische Schauspielerin, die in einer kroatischen Produktion mitspielte (Svjedoci – Witness, 2003), in Grbavica spielte sie eine Bosniakin und die Regisseurin von Grbavica, Jasmila Žbanić, ist als Produzentin an Dobra žena mitbeteiligt, was den Film zu einer kroatisch-bosnischherzegowinisch-serbischen Koproduktion macht.
Dobra žena ist ein vielschichtiger Film, der das Kunststück vollbringt, eine brachiale Metapher so in Szene zu setzen, dass sie tatsächlich das Verständnis für das Schicksal der Hauptfigur über das Darstellbare hinaus erweitert. Dobra žena ist ein grundlegend politischer Film, ein wichtiger Film für Serbien, für alle ehemaligen jugoslawischen Staaten und für Europa als weiterer kleiner Schritt bei der Aufarbeitung eines Kriegs, der in unser aller Mitte geschah.