à mon âge je me cache encore pour fumer

Algier. Ein weiter Blick bis auf das Meer, Dachterrassen, enge Gassen. Eine Bombe. Wir sind in den Neunzigern, inmitten der décennie noire, des so genannten schwarzen Jahrzehnts, inmitten des algerischen Bürgerkriegs.

Eines Tages steht die junge Meriem an der Pforte eines Hammams im volkstümlichen Viertel Bab el Oued in Algier, mit blutig geschlagenem Gesicht, hochschwanger und verfolgt von ihrem Bruder, der sie wegen der Schande töten will. Fatima, die Betreiberin des Bades, versteckt die junge Frau, die Wehen setzen ein, und Fatima muss im laufenden Betrieb des Bades eine Hebamme auftreiben, die bei der Geburt hilft. Immer unter der Gefahr, verraten und von den barbus, den bärtigen fanatisierten Islamisten, entdeckt zu werden.

Eingebettet in diese Rahmenhandlung verwebt die algerische Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Rayhana viele kleine Geschichten der verschiedenen Frauen und Kinder, die in À mon âge je me cache encore pour fumer („In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich“) den Tag im Hammam mit Waschen, gegenseitigem Einseifen und Schrubben, Geschichtenerzählen und Singen verbringen.

Da ist die moderne Lehrerin Keltoum (Nadia Kaci), die eine glückliche Ehe führt, aber keine Kinder bekommen kann, da ist die verträumte dünne Samia (Fadila Belkebla), die mit 29 immer noch keinen Mann gefunden hat, da ist Madame Mouni (Faroudja Amazit), die lange in Frankreich lebte und jetzt die moderne Dame gibt, französisch spricht, dann aber doch ganz algerisch eine Jungfrau als Ehefrau für ihren Sohn sucht.

Die ältere Louisa (Maymouna) erzählt, wie sie als Zehnjährige mit dem vierzig Jahre älteren Freund ihres Vaters verheiratet wurde, und wie dieser ihr in der Hochzeitsnacht zunächst Süßigkeiten schenkte und sie dann vergewaltigte. Die junge fanatisierte Zahia (Nassima Benchicou), Witwe eines selbsternannten Emirs, der eine islamistische Terrorzelle anführte, steht gegen die rebellische Nadia (Sarah Leyssac), die selbst Opfer eines islamistischen Säureangriffes an der Universität wurde, und es feiert, dass ihre Scheidung rechtskräftig geworden ist.

Im Mittelpunkt vom allem steht die Figur der hektischen, herrischen, gutherzigen, herben und strengen Fatima selbst, die von der israelisch-palästinensischen Hiam Abbas in ihrer Gebrochenheit umwerfend dargestellt wird. Fatima betreibt den Hammam, sie putzt, organisiert Getränke, telefoniert mit dem Klemptner, schrubbt Frauenkörper, verteilt Handtücher, schlichtet Streitigkeiten, etwa wenn Zahia und Nadia aneinandergeraten: „Keine Politik im Hammam, putzt Euch einfach nur Euren Dreck aus den Hintern, verdammt noch mal!“ Verheiratet mit einem Mann, der sie immer wieder vergewaltigt, wäscht sie sich im Hammam vor dem Aufmachen erstmal alleine seine Besudelung aus dem Geschlecht, weint und raucht dann eine Zigarette.

À mon âge je me cache encore pour fumer ist ein aufwühlender, quirliger, engagierter, ein großer Film nach einem Theaterstück der aus Algier stammenden Regisseurin, das sie auf Französisch geschrieben hat und das in Paris 2009 uraufgeführt wurde. Rayhana, die nach mehreren Mordanschlägen, denen sie nur knapp entkommen konnte, – wie so viele ihrer künstlerischen Weggefährten – im Jahre 2000 nach Paris ins Exil gehen musste, wurde nach einer Aufführung des Stücks in Paris tätlich angegriffen. Die Produzentin des Film, Michèle Ray-Gavras, unterstützte die wunderbare Entscheidung, den Film auf arabisch zu machen. Die Innenszenen wurden von einer ausschließlich weiblichen Crew in einem türkischen Hammam in Thessaloniki gedreht, das Murad II. im Jahre 1444 erbauen ließ. Der Film besticht durch eine dichte Szenenabfolge, schöne Figurenzeichnung und vor allem durch den wunderbaren Cast, darunter die international bekannte israelisch-palästinensische Schauspielerin Hiam Abbass, die etwa in Lemon Tree und Die Syrische Braut sowie aktuell in Insyriated zu sehen war, und Biyouna, die vielleicht berühmteste Schauspielerin Algeriens, die ebenfalls am Ende des Bürgerkriegs ins französische Exil gezwungen wurde, die Rolle der schillernden alten Hebamme Aïscha spielt und darin Meriems jungfräuliche Schwangerschaft damit erklärt, dass im Hammam nicht ordentlich nach den Männern sauber gemacht worden war. Die Frauen in À mon âge je me cache encore pour fumer sind so stark, die Message von Rayhana so wichtig und von Rayhana mit so viel Verve vorgetragen und das Ergebnis insgesamt so stark geworden, dass man dem Film sogar das unglücklich gewählte kitschige Bild am Ende verzeiht.

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