ffm19 – der dritte tag

Gespannt war ich auf Bacurau, den Kleber Mendonça Filho (Aquarius) zusammen mit Juliano Dornelles gemacht und die damit den diesjährigen Jurypreis in Cannes gewonnen haben. Kleber Mendonça war in den anschließenden Q&As nicht wie das letzte Mal dabei, dafür aber ein hochemotionaler Juliano Dornelles, der sich über das schon wieder ausverkaufte Kino und über den Kommentar einer brasilianischen Filmstudentin freute: Sie hätte einen guten Film erwartet, aber nicht wissen können, dass er einer der wichtigsten Filme in ihrer Studienzeit würde. Bacurau ist eine krude Mischung aus Western, Mystery-Thriller und Scifi, mit kleinen Splattereinlagen und unglaublich spannend. Mit der wunderbaren SÔNIA BRAGA und dem legendären UDO KIER! Aufgekratzt, euphorisch und mit einer kleinen hochgestreckten Faust im Geiste verlasse ich das Kino. Das ist d e r  Film für die heutige politisch verdrehte Zeit: Wir wehren uns!

Später am Abend dann der chinesische Historienfilm Dong Qu Dong You Lai – Winter after Winter in ruhigen und sehr langsamen Schwarzweißbildern. Vor dem Hintergrund der harten Lebensbedingungen während der japanischen Besetzung der Mandschurei entspinnt sich ein Kammerspiel zwischen dem Vater, den drei Söhnen und der Schwiegertochter: Da der älteste Sohn zeugungsunfähig ist, befielt der Vater seinen beiden anderen Söhnen, die Schwiegertochter zu schwängern, um die eigene Blutlinie fortzuführen. Die Schwiegertochter bleibt ohne Text in diesem Film, sie ist nicht stumm, vielmehr ohne Kraft und Recht auf eine eigene Stimme, als Symbol für die vollständige Unterdrückung der Frau, die laut Regisseur Jian Xing in dieser absoluten Form in China bis in die 1990er Jahre herrschte. Ein kunstvoller, durchdachter, strenger – und anstrengender – Film, eine archaische Geschichte über Angst, Unterwerfung und Aufbegehren, Tradition und Überleben.

erste zwischenbilanz

plakat_miniMit zwei brasilianischen Filmen ging das Filmfest für mich politisch los: Neben O Prefeito nahm auch Aquarius Machtgier, Korruption, Vetternwirtschaft und diplakate Folgen der Großprojekte in der Stadtplanung, Ausverkauf der Städte in den Blick. Eine ältere Frau beharrt auf ihrem Recht und bleibt in ihrer Eigentumswohnung wohnen, womit sie einen finanziell lukrativen Abriss und den Neubau einer Siedlung namens Aquarius verhindert. Die Mittel, die das Unternehmen anwendet, um ihren Widerstand zu brechen, enthüllt seine brachiale Rücksichtslosigkeit. Ein langer langsamer Film von Kleber Mendonça Filho mit einer tollen widerborstigen Protagonistin, mit der großartigen Sônia Braga in der Hauptrolle.

CMPoster2Closet Monster fährt mit sprechenden Hamstern und magischen Elementen auf und erzählt zwar etwas arg konventionell, aber genau beobachtet eine eigentlich ganz reizende schwule Coming-of-Age-Geschichte – hätte der Regisseur auf das allzu kitschige Ende verzichtet, hätte mir der Film gefallen. Gestern machte außerdem der the find_plakatmenschenfeindliche Trofim auf einem lebensgefährlichen Fußmarsch durch die russische Taiga den Fund (Nakhodka – The Find) eines ausgesetzten Babys, das er vergeblich zu retten versucht. Die Figuren erwartungsgemäß wortkarg, die Landschaft schön fotografiert. Während der Suche nach der Mutter des Kindes macht der Charakter von Trofim dann eine grundlegende Wandlung durch, die der russische Film dem Zuschauer bedauerlicherweise in keinster Weise plausibel machen kann. Der offensichtliche Wunsch nach Erlösung durch Happy End hat beiden Filme ihren möglichen Zauber genommen. Wie schade.

Erste Bilanz: Ganz nett, der große Knaller war allerdings noch nicht dabei.