iffr2023 – der zweite Tag

Ich wache mit starken Kopfschmerzen auf und verbringe den Vormittag im Bett mit einem endlos erscheinenden Studium des Katalogs. Die Auswahl der Filme für heute und die nächsten drei Tage überfordert mich noch stärker als gestern und das Ergebnis kann bestenfalls als aleatorisch bezeichnet werden. Die träge und unübersichtliche Festival-App verwandelt den Ticketkauf bei dem langsamen Internet im Hotel zu einem öden Krimi. Mittags schleppe ich mich in eine Apotheke und erstehe Ibuprophen, das in Rotterdam in lustigen pinken Pillen ausgegeben wird. Ich finde nach einem längeren wohltuenden Spaziergang ein schönes Café, in dem ich vernünftiges Netz habe und den Nachmittag endlich mit erstem Schreiben verbringe. Es dauert, bis ich ein bisschen reinkomme, ist alles lange her. Neben mich setzen sich dann Leute, die eine skandinatische Sprache sprechen, ich frage nach in der Hoffnung auf Aufklärung über den dänischen Titel von Godland, und siehe da: Es ist die Produzentin des Films, über den ich gerade schreibe! Wesentlich besser gelaunt mache ich mich am frühen Abend auf dem Weg ins Cinerama, wo es zwar eine ganz leckere Suppe, aber kein Internet gibt.

Ich sehe eine Klassikeradaptation der jungen schwedischen Filmemacherin Nadja Ericsson, die sich für ihren ersten Film Henrik Ibsens Vildanden – Die Wildente  vorgenommen hat. Gearbeitet wurde mit Handkamera, die Dialoge sind überwiegend in Improvisation mit den Darstellerinnen und dem Darsteller entstanden, die ihre Freunde aus der Kunstschule sind, es wurde kein künstliches Licht verwendet, gefilmt wurde in vier Tagen. Solche Einschränkungen kann eine eigene filmische Poesie erzeugen, die sich mir in diesem Film aber nicht erschloss. Die Inszenierung wirkt schnodderig, die improvisierten Dialoge sind redundant und wirken banal, die extensiven Bildunschärfen der auch bei ruhigen Einstellungen unentwegt wackelnden Kamera erscheinen unnötig anstregend, und ist die naheliegende Symbolik der Blindheit nicht etwas platt? Ich frage mich etwas ratlos: Ericsson verfilmt einen Klassiker der schwedischen Dramatik, aber warum bloß?