Ciemno, prawie noc – Dark, Almost Night

Den ersten enttäuschenden Film des Festivals sehe ich am Nachmittag, den polnischen Ciemno, prawie noc – Dark, Almost Night von Borys Lankosz. Alicia (Magdalena Cielecka) reist in ihren Heimatort zurück, um für eine Reportage über verschwundene Kinder zu recherchieren und wird dabei von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Der Film beginnt mit düsteren harmonischen Bildern, ist stimmig ausgestattet, kombiniert gelungen die Szenerien von realsozialistischer Brachialarchitektur mit verwunschenen Anwesen älterer Zeiten, ist direkt auf eine seltsam-gruselige Weise spannend und besticht mit einer bemerkenswerten Sound- und Musikunterlegung, die verschiedene Szenen miteinander verknüpft und übereinander legt. Doch leider seicht Ciemno, prawie noc sehr schnell in einen viel zu vollgepackten Mystery-Thriller ab, samt ermüdender Figurenklischees etwa der rundrum positiven Heldin (tough, seelisch versehrt und sehr schön), exzessiver Gewalt gegen Kinder, Zweitemweltkriegsgrauen, verschiedensten Traumata und am Ende auch noch der unweigerlichen (?) brutalsten Kinderpornografie (das aktuelle Symbol für das absolute Böse, wie es scheint). Diese Adaptation des Bestsellers von Joanna Bator ist leider grundlegend missraten, Viele verlassen den Kinosaal während des Films und verpassen dadurch die letzte Einstellung von Heldin und gerettetem Kind am Meer im Sonnenuntergang, die den Streifen dann endgültig in niveaulosem fernsehformatigem Kitsch erstickt. Schade.

iffr – 4. tag

Obwohl ich heute erst mittags beginne, fühle ich erste Ermüdungserscheinungen. Werde ich vielleicht krank? Es schneit in Rotterdam und es ist furchtbar grau. Pasażerka (Die Passagierin), mein erster Film, ist nicht wirklich dazu angetan, trübe Stimmungen zu vertreiben: Der polnische Film von 1963 handelt von einer Deutschen, die auf einem Passagierschiff zum ersten Mal nach dem Krieg nach Europa reist und dort eine Frau trifft, die sie von ihrer Zeit als SS-Aufseherin im Vernichtungslager Auschwitz als eine Gefangene wiederzuerkennen glaubt. Der Regisseur Andrzej Munk verunglückte während der Dreharbeiten, der Film wurde von Witold Lesiewicz mit Munks Material zu Ende gebracht. Munks fertig gedrehte Szenen umfassen seine aufgrund ihres historischen Pathos‘ schwer verdauliche Erzählung im Konzentrationslager, die Rahmenhandlung auf dem Schiff sind nur als Stills überliefert, die Lesiewicz in ihrer Fragmentizität stehen ließ und mit einem Voice-over-Kommentar zu den möglichen Absichten von Munk versah. Ein spannende Art, mit Filmfragmenten umzugehen.

Abends geht es historisch (in der Reihe „The Spying Thing“) weiter mit meinem einzigen tschechoslowakischen Film in Rotterdam: Smyk (der deutsche Titel war damals Dem Abgrund entgegen) von Zbyněk Brynych aus dem Jahr 1960 in einer klassischen Ost-West-Agentenstory, bloß hier eben aus der ideologischen Ost-Perspektive. Brynych gewann mit diesem Film den Regiepreis auf den Karlsbader Filmfestspielen. An vielen Stellen hat der Film B-Movie-Qualitäten und ist entsprechend schwer verdaulich (die Darstellung von Frauen wird aus heutiger Perspektive selbstredend immer unfassbarer), aber der Beginn des Film beispielsweise ist – zumal auf großer Leinwand – großartig: Berlin, Westdeutschland als Aufeinanderfolge von Leuchtreklamen großer Firmen untermalt von James-Bond-artiger Monumentalmusik. Der Film ist kein Muss, aber ein wirklich interessantes historisches Dokument.

Außerdem habe ich mir eine Spätvorstellung vorgenommen: Den britischen Krimi Out of Blue von Carol Morley, in dem PATRICIA CLARKSON sich als Kommissarin in eine gefährliche Untersuchung verbeißt.