Der sechste Tag auf dem Münchner Filmfest 2017 beginnt für mich mit dem Langfilmdebüt des Schotten Peter Mackie Burns, der 2005 den Goldenen Bären für seinen Kurzfilm Milk gewann. Daphne ist eine Anfang dreißigjährige alleinstehende Frau, die als Köchin in einem Restaurant arbeitet, scharfzüngig bis zynisch ihre Umwelt wissen lässt, wie wenig sie von ihr hält und zu oft zu viel trinkt. Peter Mackie Burns bringt es im Anschluss an die Vorstellung auf den Punkt: Daphne zeigt, was passiert, wenn du der wirst, der du vorgibst zu sein. Der Film ist ein ästhetischer Londonfilm über einsame Menschen und verkapselte Herzen – und Emily Beecham gibt den weiblichen lonely wolf im Großstadtdschungel sperrig, intelligent, widerborstig, depressiv, selbstbestimmt und ohne jedes Selbstmitleid. Peter Mackie Burns und sein Autor Nico Mensinga haben eine Frauenfigur geschaffen, die sich wohltuend den gängigen stereotypen Rollenklischees von Frauen entzieht. In den Nebenrollen sehen wir unter anderem Geraldine James, Tom Vaughan-Lawlor, Nathaniel Martello-White und Karina Fernandez.
Im Anschluss überfallen mich Müdigkeit und Ermattung, München mit seinen fetten Karren und dem spießigen Schick, die Filmmenschen mit den am Hals baumelnden Ausweisen ihrer Wichtigkeit und die überall herumwuselnden Filmpromis gehen mir plötzlich unerträglich auf die Nerven. Es ist genug, ich beschließe, nach Hause zu fahren. Ein letzter Film noch und morgen früh dann ab durch die Mitte.
Mein letzter Film Jeunesse läuft in einer frühen Spätvorstellung im Theatiner, diesem charmanten, 1957 gegründeten Filmtheater (hier passt der Ausdruck) am Odeonsplatz mit den legendär unbequemen Sitzen, das seinerzeit die Nouvelle Vague nach München brachte. Der letztes Jahr in Locarno im Wettbewerb gelaufene Jeunesse ist die Verfilmung der Erzählung Youth von Joseph Conrad über einen jungen Mann, der auf der Suche nach Geld und Abeuteuer auf einem Frachtschiff anheuert. Doch das Leben auf dem Schiff ist rauer als gedacht, ebenso wie die See, als die Judea bald nach Auslaufen in einen heftigen Sturm gerät – beeindruckend, wie Kévin Azaïs den vor Furcht und Seekrankheit halb toten Jungen spielt! Jeunesse ist im Grunde ein klassischer Abenteuer- und Seefahrerfilm in Lord Jim-Manier. Zugleich wird die innere Reise des Helden erzählt, Zico meistert sein schwieriges Abenteuer und wird durch diese existenzielle Erfahrung erwachsen. Entsprechend bemüht sich Julien Samani bei eindeutiger Verortung im Heute erfolgreich um ein zeitloses Setting. Doch trotz solcher Überlegungen und toller Darsteller (neben dem starken Kévin Azaïs brilliert Sami Guesmi als rechte Hand des Käpitäns) nehme ich dem Film die Geschichte nicht richtig ab. Es könnte auch an meiner (Film-)Müdigkeit liegen, dass mir das Handeln der Figuren hölzern und nicht plausibel erscheint und die Adaptation der Conrad-Erzählung als nicht besonders gelungen. Trotzdem macht dieser Film natürlich total Spaß, es gibt ein Schiff und dreckige Männer und die tobende See. Was will man mehr?